Schwerpunkt 15. Januar 2022, von Sandra Hohendahl-Tesch, Christian Kaiser

«Eine Physik ganz ohne Gott ist für mich unmöglich»

Wissenschaft

Der Astrophysiker Heino Falcke konnte Schwarze Löcher sichtbar machen. Sein Vertrauen in die Forschung tut seinem Glauben keinen Abbruch. Er sei wie das Licht am Nachthimmel.

Sie sind nicht nur Professor für Astrophysik, sondern auch Laienprediger. Was motiviert Sie, das Wort Gottes zu verkündigen?

Heino Falcke: Der Glaube ist für mich das Schönste, was man teilen kann. Ihn will ich teilen. In unserer Gemeinde gestalte ich «andere Gottesdienste», die nicht an die Liturgie gebunden sind, mit modernen Liedern oder Theaterstücken. Ausserdem erzähle ich gerne biblische Geschichten. Die Bibel möchte erzählt werden, dadurch wird sie lebendig. 

Gibt es eine biblische Lieblingsgeschichte, die Sie gern mitteilen?

Ich habe viele. Im Alten Testament unter anderem die von Elia, der sich verängstigt in einer Höhle versteckt (Kön 19,13). Gott erscheint ihm nicht im Sturm, auch nicht im Erdbeben, sondern «im Säuseln der Stille». Das gefällt mir. Vor Kurzem sprach ich an einem Kongress mit einem jüdischen Kollegen über diese Bibelstelle. Eine halbe Stunde diskutierten wir über die treffende Übersetzung; für ihn ist es der Hauch des Windes, nicht das Säuseln der Stille. Das ist hochspannend.

Sie kommen aus einem religiösen Elternhaus. Hatten Sie je so etwas wie ein Erweckungserlebnis?

Meine geistliche Erweckung geschah in der Jugend. Ich war damals in der CVJM, dem Christlichen Verein Junger Menschen. Eines Morgens erwachte ich mit dem starken Gefühl, dass Gott da und lebendig ist. Am Vorabend hatten wir einen Kindergottesdienst gefeiert, sonst war nichts Besonderes geschehen. Jahre später erging es mir in einer eindrücklichen Karfreitagspredigt ähnlich: Ich war überwältigt vom Gefühl, dass Jesus für uns Menschen am Kreuz gestorben ist.

Die Kirche hat ja derzeit eher Gegenwind. Wie wichtig ist es heute, den Glauben hochzuhalten?

Das Bedürfnis nach geistlicher Orientierung, nach Klarheit und liebevoller Begleitung ist sehr stark. Ich bin überzeugt, dass wir Mitarbeitenden der Kirchen Saatkörner bewahren, die wieder austreiben werden. Bei der Preisverleihung des christlichen Medienpreises wurde ein Artikel mit dem Titel «Ich bin Atheist, warum missioniert mich keiner?» ausgezeichnet. Der Autor hat Kirchenvertreter gefragt, ob sie wirklich glauben, wovon sie reden. Meiner Meinung nach erfüllt die Kirche das Bedürfnis nach überzeugender Mission nicht richtig. 

Wie meinen Sie das? 

Die eine Seite der Kirche traut sich kaum, etwas von ihrem Glauben zu erzählen. Die andere berichtet zwar davon, tut das aber lieblos – mit moralinsauren Predigten, die viele Leute ausschliessen. Ich wünsche mir, dass die Polarisierung zwischen liberal, orthodox und evangelikal langsam zusammenfliesst und dass Mauern einreissen.

Oder das Schwarze Loch sich füllt.

Genau (lacht). Das Loch in der Mitte sollte sich wieder füllen mit glaubhaftem Leben und lebhaftem Glauben. Jene kirchlichen Kräfte, die offene Türen für alle Menschen haben, sind leider nicht so sichtbar

Heino Falcke (55)

Heino Falcke (55)

Der hochdekorierte Astrophysiker und Professor an der Radboud-Universität in Nimwegen leitete den wissenschaftlichen Beirat des Event-Horizon-Telescope-Projekts, mit dem es gelang, das erste Bild eines Schwarzen Lochs aufzunehmen. In seiner Freizeit traut, tauft, beerdigt und predigt er als ordinierter Prädikant in der Evangelischen Kirche in Frechen, einer Stadt vor den Toren Kölns. Jüngst erhielt er den Christlichen Medienpreis «Goldener Kompass» der Christlichen Medieninitiative Pro.

Das erste Bild eines Schwarzen Lochs ging vor zwei Jahren um die Welt. Was passiert da überhaupt?

Eigentlich ist ein Schwarzes Loch ganz viel Masse in einem unendlich dünnen Punkt. Was darin geschieht, kann ich nicht sehen. Die Anziehungskraft ist so stark, dass kein Licht mehr herauskommt. Oder anders gesagt: Was in den Bereich fällt, den wir auf unserem Bild als einen schwarzen Schatten sehen, kommt nie wieder hinaus. Unheimlich.

Welche existenziellen Fragen wirft das Bild auf?

Es ist nicht denkbar, dass wir in den nächsten hundert Jahren das Innere eines Schwarzen Lochs erforschen und vermessen können. Es handelt sich also um Räume, die vor unserer Neugier verschlossen sind und nur geistig durchdrungen werden können. Tatsächlich sind wir hier an Grenzen unseres Wissens vorgestossen. Das liegt nicht an mangelndem Wissen, vielmehr wissen wir, dass diese Wissensgrenzen Teil der Natur sind. Wir müssen diese Limiten nicht überwinden, sondern mit ihnen umgehen. Das ist für die Entwicklung der Welt essenziell.

Der Philosoph Peter Sloterdijk sagt, die Wissenschaft habe die Religion enträtselt und ihr so ihre Hauptaufgabe genommen.

Das ist nicht wahr. Das Grundrätsel – woher alles kommt, was am Ursprung von allem steht – hat die Naturwissenschaft bis heute nicht geklärt. Und sie wird es auch nie können. Wir kennen zwar die Naturgesetze, wo hingegen diese Regeln herkommen, das wissen wir nicht. Insofern bleibt das Geheimnis Gottes bestehen. Eine ganz gottlose Physik ist für mich unmöglich.

Gott ist der Ursprung von allem?

Ich war vor Kurzem an einer Ausstellung, die dem Entdecker des Urknalls gewidmet war. Georges Edouard Lemaître, ein belgischer Priester und Zeitgenosse von Albert Einstein, rechnete als erster Physiker den Urknall durch, konnte ihn aber damals nicht beweisen. Heute wissen wir, dass er richtiglag. Er machte sich auch theologische Notizen, welche die Sorge der gläubigen Physiker von damals ausdrücken. Lemaître stellte fest, dass die Physik an einem Punkt t = 0 anfängt, der Ursprung aber hinter dem Urknall verborgen bleibt.

Stephen Hawking meinte bewiesen zu haben, dass es keinen Gott gibt.

Und er ist meiner Meinung nach krachend gescheitert, genau wie die Leute, die Gott beweisen wollen. Ob es Gott gibt, ist keine interessante Frage. Sie ist beantwortet: natürlich! Die interessante Frage lautet: Wer oder was ist Gott? Ein schöner Satz wird Blaise Pascale zugeschrieben: Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch und am Grund des Bechers wartet Gott. Unbestritten ist dieser Gott eine erste Ursache.

Ist das Ihre Vorstellung von Gott – eine unpersönliche, tote Sammlung von Naturgesetzen?

Was ich sagen will: Ich glaube, eine moderne physikalische Schöpfungsgeschichte kommt ohne diesen abstrakten, philosophischen Gott nicht aus. Ob es einen persönlichen Gott gibt, das hingegen ist eine persönliche Glaubensentscheidung. Ich habe sie für mich getroffen. Gott ist auch klein und ohnmächtig. Er liess sich kreuzigen und ist nicht totzukriegen: Das ist der ultimative Widerstand gegen die Gesetze dieser Welt. Mit dem Hoffnungsmoment. Am Ende steht die gemeinschaftliche Erfahrung, die wir den Heiligen Geist nennen.

Da wären wir wieder beim Säuseln der Stille oder dem Windhauch.

Genau. Das ist eine sehr schöne, tiefe und weise Beschreibung Gottes. Gott wird im christlichen Glauben nicht festgelegt auf eine Form. Aber er spiegelt unsere Erfahrungswirklichkeit. Meine persönliche Gotteserfahrung entscheidet darüber, wie ich die Welt sehe. Und es gibt unterschiedliche Wege, wie wir Gott auch sinnlich erfahren können.

Die sinnliche Erfahrung als Gottesbeweis? Steht das nicht im Widerspruch zu Ansprüchen und Methoden der Naturwissenschaften?

Klar versuche ich als Wissenschaftler, alles zu verstehen. Gleichzeitig weiss ich, dass das nicht möglich ist. Dann hilft es, auf einfache Glaubenssätze zurückzugreifen und manchmal auch einfach nur zu fühlen. Das gibt mir persönlich eine Ruhe und Geborgenheit, die mir die Wissenschaft nicht geben kann und wo ich wieder kindlich einfach werde. Ich glaube, angesichts der Grösse und der Komplexität des Alls können wir am Ende doch nur noch kindlich einfach denken.

Wir sind Staubkörner, ein Wimpernschlag im weiten All. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Ja, in einer Form, die ich mir nicht vorstellen kann. Mein Glaube wird weiterleben. Das ist das, was ich mitnehmen kann. Nicht mein Hab und Gut, nicht meine Erfolge. Das relativiert mein Leben. Macht es aber gleichzeitig wirkmächtiger. All das, was ich als Hoffnung weitergeben kann, können wir gemeinsam in dieses neue Leben mitnehmen. In welcher Form das sein wird, bleibt offen. Dies ist der Grundglaube des Christen: Ihr könnt mich kreuzigen, aber ich lebe weiter. Wir leben im Hier und Jetzt.

In der Pandemie stehen die Zeichen derzeit eher auf Hoffnungslosigkeit?

Wir Christen sind Salz und Licht in dieser Welt. Zusammen werden wir die Flut überstehen. Auch die Pandemie. Christen sollten vom Regenbogen nach der Sintflut erzählen: Die Welt wird nicht untergehen. Allein die Tatsache, dass wir jetzt einen Impfstoff zur Verfügung haben, macht doch Hoffnung. Vor 20 Jahren wäre so etwas noch nicht möglich gewesen. An der Technologie fehlt es nicht, hemmend wirkt die Angst vor dem Fortschritt.

Reise an die Grenze von Raum und Zeit

Es war eine Sensation. Am 10. April 2019 präsentierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Öffentlichkeit das erste Bild eines Schwarzen Lochs. Zuvorderst dabei war der Forscher und Astrophysiker Heino Falcke, der zwanzig Jahre auf diese Aufnahme hingearbeitet hatte. Das abgebildete Schwarze Loch liegt in einer Galaxie, die rund 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Sein Radius beträgt knapp 20 Milliarden Kilometer. Das entspricht ungefähr der dreifachen Entfernung von der Sonne bis zum Neptun, dem äussersten Planeten unseres Sonnensystems. Technisch gelang die Aufnahme dank des gigantischen Event Horizon Telescope, eines erdumspannenden Zusammenschlusses von acht Radioteleskopen. Genau genommen konnte damit der helle Emissionsring sichtbar gemacht werden, den das Schwarze Loch als Schatten wirft.

In seinem Buch «Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir» berichtet Heino Falcke, wie er gemeinsam mit seinen internationalen Kolleginnen und Kollegen verschiedene Beobachtungsstationen der Erde in ein riesiges Teleskop verwandelte und so dem grössten Rätsel des Universums ins Auge schauen konnte.  Bei Schwarzen Löchern kollidieren Grundsätze der Quanten- und der Relativitätstheorie, zweier Theorien, die in sich schlüssig und stimmig sind. In der Konfrontation zeigen sich die Grenzen der Physik. Faszinierend und verständlich schlägt Falcke den Bogen von den ersten Blicken der Menschen hoch zum Himmel hin zu den bis heute ungelösten Geheimnissen des Universums. Und ihn interessiert auch, was das alles mit uns Menschen zu tun hat. Als gläubiger Christ stellt er die grossen philosophischen und theologischen Fragen. Zum Beispiel: Was können wir aus dem Weltall über Gott und die Welt, über uns selber lernen? Falcke betont, dass Wissen und Glaube keine Gegensätze sind: «Für Christen, die die Welt begreifen wollen, ist es wichtig, die Naturwissenschaften zu verstehen.» Wer vom Baum der Erkenntnis genommen habe, müsse seine Gabe des Wissens auch einsetzen.

Heino Falcke & Jörg Römer: Licht im Dunkeln. Klett Cotta, 2020, 384 Seiten, ca. Fr. 37.90

Die christliche Symbolik von Licht und Dunkel: Kommt Ihre Faszination für Schwarze Löcher daher?

Allein das schwache Licht der Sterne wirkt ja nur aufgrund der Dunkelheit des Alls. Sobald das grosse Licht der Sonne verschwindet, erscheinen die kleinen Lichter, die uns viel weiter hinaus rufen. Gerade die Dunkelheit der Nacht lässt uns die Weite des Alls viel besser schätzen. Gegensätze bestimmen unser Dasein. Ohne Leid keine Freude. Es ist eine Grundhaltung der Christen, ein Stück Bedrängnis zu erleben, aber zu wissen, dass Gott, die Hoffnung am Ende siegen. In Bedrängnis ist auch unser Planet.

Sie sagten einmal, es gelte zu versuchen, das Nötigste zu tun. Was heisst das für Sie?

Unsere Aufgabe ist es, Gottes Schöpfung Sorge zu tragen, sie nicht verdreckt zurückzulassen. Denn wenn wir das tun, lassen wir damit auch Menschen zurück. Die öko-logische Verantwortung ist an die soziale gekoppelt. Das grösste Thema in der Bibel ist die Gerechtigkeit, der Aufruf zur Nächstenliebe. Nach einer Welt zu streben, welche die Natur respektiert und den Menschen genauso zu seinem Recht kommen lässt. Wir müssen nach Gerechtigkeit streben für die Natur, den Menschen, die Erde.

Also nicht das Heil in fernen Planeten suchen wie die Milliardäre Branson, Bezos und Musk?

Ihnen fehlt die Liebe. Technischer Fortschritt ist kein Hoffnungserfüller, nur Mittel zum Zweck. Ich muss aus mir heraus wissen, wo ich hinwill. Ich kann mein Glück nicht von der Technik abhängig machen, wie das die Musk-Jünger mit ihrem Weltraumtourismus versuchen. Technik kann zwar helfen, die Welt gerechter zu machen. Das persönliche Seelenheil wird man dadurch aber nicht erlangen.