2004 starb meine Grossmutter mütterlicherseits im Alter von 84 Jahren. Ich erbte ihre Nähmaschine. Obwohl ich Grossmama als Kind und Jugendliche nicht selten besuchte, blieb sie für mich stets etwas unnahbar. Doch als ich den Nähmaschinenkoffer öffnete und den Inhalt untersuchte, gewann ich eine späte, ungeahnte Nähe zu ihr.
Alle Originalteile waren noch vorhanden, überdies hatte sie die Besitzerin um viele Zusatzteile ergänzt – ein Zeugnis ihrer herausragenden Kenntnisse in der Nähkunst. Zum Schutz vor Staub hatte sie für die Maschine aufwendig eine Haube genäht: aussen ein gestreifter Stoff, innen ein Futter und um die Öffnung herum eine fein säuberlich abgesteppte Einfassung.
Nebst all dem Zubehör enthielt der Koffer auch Proben von Nähstichen, die die Grossmutter auf verschiedensten Stoffarten angefertigt und zum Teil beschriftet hatte.
Charakter in der Zeitkapsel
All das erinnerte mich an die ordentliche, arbeitsame, sorgfältige, sparsame und strenge Art meiner Grossmutter und auch an ihre Kreativität. Der Koffer hatte ihre Charakterzüge wie eine Zeitkapsel konserviert. Jedes Mal, wenn ich die Maschine in Betrieb nahm, stellte ich mir vor, wie Grossmamas Hände sie einst bedient hatten. Irgendwann ging die Maschine leider kaputt. Geblieben sind mir bloss noch ein paar Nähmaschinenfüsschen, die ich in Ehren halte.