Ich komme nach Hause, schmeisse den Schulranzen in die Ecke und rieche diesen eigentümlichen Geruch. Er verrät: Meine Oma ist zu Besuch und hat das Regiment übernommen. Auf dem Herd köchelt meine Lieblingssuppe vor sich hin, weissen Borschtsch nennt Grossmutter das Gericht. Die wichtigste Zutat ist Sauerteig, sie hat ihn bereits seit Tagen kultiviert.
Die Suppe ist eins von vielen Gerichten, die meine Grossmutter aus ihrem Geburtsland Polen in die neue Heimat Franken mitgenommen hat. Fein im Geschmack und doch deftig dank der Einlagen: Kartoffeln und «Stadtwurst».
Flucht und Vertreibung
Eine warme Suppe gehörte in den polnischen Wintern zum Essen dazu, und während wir in unserer Frauenrunde – Mutter, Schwester, Oma und ich – die Suppe löffeln, erzählt meine Oma von Flucht und Vertreibung. Im Kopf entstehen Szenen: wie sie im Wald dem russischen Panzer begegnete und dachte, das sei ihr Ende. Wie sie sich durchschlug, Hunderte Kilometer teils zu Fuss. Und wie sich die Familie nach dem Krieg wiederfand.
Polen blieb präsent, vor allem in der Küche. Jahre später fand ich auf einer Reise nach Warschau heraus, dass die Suppe auf Polnisch Jurek genannt wird. Sie gelingt mir zwar noch immer nicht so gut wie einst der Oma. Trotzdem freue ich mich aber jedes Mal darüber – wie damals als Kind. Cornelia Krause