Dieses Erbstück ist ein ungerader Zwölfender mit Eissprosse. Das sieben Kilo schwere Teil hat 83 Jahre und eine ganze Familiengeschichte auf dem Buckel. Den Rothirsch geschossen hat mein Grossvater Carl Harder, Gutsherr in Hohenwarth in einem Forst nordöstlich von Grimmen in Vorpommern.
Vom Jäger zum Gejagten
In jener Oktobernacht 1941, als er in einem Graben «auf Anstand» lag und zielte, war meine Grossmutter Hanna ausnahmsweise mit dabei. Der Mond schien, und die beiden freuten sich so über das Jagdglück, dass an Ort und Stelle meine Mutter gezeugt wurde. Als letztes von sieben Geschwistern.
Ich verdanke diesem Hirsch also meine Existenz! Und natürlich meinen Ahnen, so wie wir alle unser Dasein unseren Vorfahren zu verdanken haben – auch wenn sie uns teils schwere Tragestücke aus der Familiengeschichte hinterliessen. Mein Opi blieb zum Glück davon verschont, im Krieg auf Menschen schiessen zu müssen. Als Verwalter mehrerer Güter spielte er aber wohl eine nicht unwichtige Rolle bei der Versorgung der Wehrmacht.
Deshalb nahmen ihn die sowjetischen Besatzer 1945 selbst ins Visier, ja stellten ihn an die Wand seines Gutshauses. Abgedrückt haben sie zum Glück nicht; ein Kosakenoffizier liess sich vom verzweifelten Geschrei seines 11-jährigen Sohnes erweichen, schulterte das Gewehr wieder und gab Befehl zum Abritt. Mein Grossvater habe sich x-mal bei meinem Onkel dafür bedankt, dass dieser ihm das Leben gerettet habe.
Es blieb nicht das einzige Mal, dass eine Waffe auf ihn gerichtet, er zum Abschuss freigegeben war. Denn die Russen internierten ihn, steckten ihn später in einen Viehwagen nach Sibirien, von wo er 1949 halb verhungert und krank zurückkam.
Und ich erinnere mich, wie er jedes Frühjahr mit glänzenden Augen von den sibirischen Wiesen schwärmte, die sich nach der Schneeschmelze innert Tagen in ein Blütenmeer verwandeln. Er wusste: nach jedem auch noch so bitterkalten Winter kommt wieder die Frühlingswärme. Wahrscheinlich hat er deswegen all die Schrecken überlebt. Er starb mit 93.