Schwerpunkt 23. August 2023, von Thomas Binotto

Fünf Filme von 1973 bis 2015 zu Untergang und Offenbarung

Apokalypse

Das Thema ist bei Filmschaffenden beliebt – es gibt fast unzählige Streifen dazu. Filmjournalist Thomas Binotto stellt eine Auswahl von fünf bemerkenswerten Werken vor.

Störrisches Festhalten an der Hoffnung

28 Tage nach einem Unfall erwacht Jim inmitten des apokalyptischen Wahn­sinns: Ein Virus hat England in brutalste Anarchie gestürzt. Wer vom Virus infiziert ist, verwandelt sich innert Sekunden in eine blindwütig mordende Bestie. Danny Boy­le reiht sein düsteres Zukunftsbild stilsicher in die lange Reihe von apo­kalyptischen Zombiefilmen ein. Kaum ein anderes Genre bearbeitet so unerbittlich unsere Urangst: die Angst, das letzte menschliche Wesen auf Erden zu sein.

Dieses Gefühl der absoluten Einsamkeit und Verlorenheit vermitteln die öde gewordenen Städte, die schief gestellte Kamera, die grobkörnig ausgebleichten Bilder. Zwar bilden sich Zweckgemeinschaften, aber sie speisen sich aus Verzweiflung, aus dem störrischen Festhal­ten am Prinzip Hoffnung. Das zaghafte Happy End des Films «28 Days Later» ist den Zuschauerreaktionen nach Testvorführungen geschuldet: Noch mehr Einsamkeit wollten sie nicht ertragen.

28 Days Later, Grossbritannien 2002. Regie: Danny Boyle. DVD, BluRay

 

Mächtiger Hass auf alles Fremde

Seit einer Generation wird weltweit kein einziges Kind mehr geboren. «Nach uns die Sintflut» ist zum Motto der Perspektivenlosigkeit geworden. Umweltzerstörung und Terror herrschen. In einer Welt voller Egoismen wird der Hass auf alles Fremde übermächtig. Flüchtlinge werden gnadenlos gejagt, in Käfige gesperrt und deportiert.

P. D. James, eine Grosse des englischen Detektivromans, war auch theologisch bewandert. «Children of Men» spielt auf den Psalm 90 an und auf den Menschensohn, al­so den Er­löser. Tatsächlich taucht mit­ten im Inferno eine Flüchtlings­frau auf, die aus unerklärlichen Grün­den schwanger ist. Zum Glück bleibt James aller Theologie zum Trotz die scharfsichtige und pointierte Beobachterin unserer Gesellschaft. Und zum Glück nimmt Alfonso Cuarón diesen Blick in seiner dokumentarisch wirkenden Inszenierung auf. Deshalb erzählt «Children of Men» mehr über die Gegenwart, als uns lieb sein kann.

Children of Men. GB/USA 2006. Regie: Alfonso Cuarón. DVD, BluRay, Streaming

 

Wilde Fahrten in einen öden Horizont

Weltuntergang und Wüste gehören in der Apokalypse zusammen. Im vierten «Mad Max»-Film gibt es Wüste ohne Ende. Die Lastwagenfahrerin Imperator Furiosa jedoch will heimkehren ins «Grüne Land» ihrer Kindheit. Sie entführt fünf Frau­en, die zu Gebärmaschinen degradiert wurden, und reisst den orientierungslosen Mad Max mit sich. Furiosas Lastwagen brettert von Warlords verfolgt durch die Wüste. Wilde Autoschlachten im Akkord.

Oberflächlich betrachtet, zele­briert George Miller einen Actionfilm alter Schule. Für die Stunts setzt er Choreografen, Stuntleute sowie Trick­spe­zialisten ein, keine Com­­puter. Die scheinbar unterkom­plexe Story wird aber gerade in ihrer formalen Radikalität zum Augenöffner auf den Fetisch unsrer Zeit. Das Einzige, was in dieser Zukunft noch funktioniert, ist Mobilität. Nach wie vor fahren Autos bis zum Horizont, allerdings erwartet sie dort nichts, denn Mobilität hat sich im Selbstzweck totgefahren.

Mad Max: Fury Road. Australien 2015. Regie: Georg Miller. DVD/BluRay/Streaming

 

Riesiger Wald aus Pilzen als Bedrohung

Nach einem Vernichtungskrieg brei­tet sich ein riesiger Pilzwald aus, der fast die gesamte Erdoberfläche vergiftet und damit unbewohnbar macht. Nur noch wenige Orte sind von diesem «Meer der Fäulnis» verschont. Darunter das «Tal der Winde», aus dem Prinzessin Nausicaä stammt. Sie allerdings kann nicht daran glauben, dass die Natur zerstörerisch wirken will.

Mit diesem postapokalyptischen Ani­mationsfilm gelang Hayao Miya­zaki der künstlerische Durchbruch. Animes waren von nun an nicht mehr Kindersache. Miyazaki, der einst «Heidi» animiert hatte, entwirft eine Zukunftsvision, deren Pole seine Filme fortan prägen: Hightech wendet sich gegen die Menschen. Und die Natur wirkt nur deshalb tödlich, weil sie sich den Menschen verschlossen hat. Wenn es in Miyazakis Welt eine Hoffnung gibt, dann kommt sie von den Kindern. Ihre Unvoreingenommenheit weckt Hoff­nung auf Versöhnung und vielleicht sogar auf Rettung.

Nausicaä. Japan 1984. Regie: Hayao Miyazaki. DVD, BluRay, Streaming

 

Natürliche Ressourcen zerstört

In New York City leben 40 Millionen Menschen. Die natürlichen Res­sourcen sind zerstört. Eine gerechte Verteilung der noch vorhandenen Güter gibt es nicht. Selbst von der künstlichen Ersatznahrung «Soylent Green» gibt es viel zu wenig. Ein Jahr nachdem der Club of Rome seinen Wirtschaftsbericht «Die Gren­zen des Wachstums» herausgegeben hatte, brachte Metro-Goldwyn-Mayer diesen Science-Fiction-Thriller ins Kino.

Was für ein Timing – auch wenn es Zufall war: Ausgerechnet ein Hollywood-Studio der alten Schule thematisiert den Zusammenbruch der Zivilgesellschaft. In den 1930er-Jahren war Metro-Goldwyn-Mayer für harte Gangsterfilme berühmt. Und wie ein verspäteter Beitrag zur «Serie noir» wird auch diese Dystopie inszeniert: Ein Polizist und sein greiser Mitbewohner entlarven die Ungeheuerlichkeit, die sich in «Soylent Green» verbirgt. Das ist heute noch so brisant wie der Bericht des Club of Rome.

Soylent Green. USA 1973. Regie: Richard Fleischer. DVD, BluRay, Streaming