Schwerpunkt 24. August 2023, von Felix Reich

Grelle Bilder des Untergangs und eine Verheissung

Apokalypse

Apokalypse wird mit dem Weltuntergang gleichgesetzt. Doch das Wort bedeutet Offenbarung. Entsprechend vieldeutig ist das letzte Buch der Bibel, das auch von Hoffnung erzählt.

Wohl gab es noch kein Zeitalter in der Menschheitsgeschichte, in dem der Weltuntergang nicht erwar­tet worden wäre. Genährt werden die Untergangsfantasien auch durch die Bibel. Eine sprudelnde Quelle ist die Johannesoffenbarung, die an ihrem Ende steht.

Masseinheit der Zerstörung

Detailliert beschreibt der Seher Jo­hannes die Vision, die er auf der Insel Patmos empfangen hat. Er sieht einen Drachen mit sieben Köp­fen und zehn Hörnern, hört den Abgesang der Posaunen auf die Menschheit. Der Zorn Gottes ergiesst sich über die Welt.

Die Bilder des Untergangs haben sich tief ins kollektive Bewusstsein eingegraben. Als Anfang August in Dravograd, wo sich die Flüsse Drau, Meza und Mislinja vereinen, nach einem schwe­ren Erdrutsch über 100 Menschen eva­kuiert werden mussten, sprach der Bürgermeister der slowenischen Stadt von «einer Apokalypse bib­lischen Ausmasses». Die Bibel wird zur Steigerungsform der Zer­störungskraft der Wassermassen.

Die Apokalypse ist geprägt von der Ambi­va­lenz zwi­schen Ende und Neubeginn.

Immer schon diente die Heilige Schrift als Masseinheit für Plagen und Gefahren, denen Menschen ausgesetzt waren. Die Apokalyptischen Reiter wurden nicht nur in Naturkatastrophen erkannt, son­dern auch in den Seuchenzügen, als die Pest wütete.

Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wurden in der atheistischen Sowjetunion Bezüge zwischen biblischer Überliefe­rung und radioaktiver Verseuchung gezogen, die selbst nüchterne Menschen erschaudern lassen: Johannes erzählt vom Stern Wermut, der auf die Erde kracht und den Tod bringt, «weil das Was­ser bitter geworden war» (Offb 8,11).

Atomare Apokalypse als Motor für Veränderung

Auf Ukrainisch heisst Wermut «Tschornobyl» und damit gleich wie der Unglücksort, der das Wasser verseuchte und eine radio­aktive Wolke nach Europa schickte.

Die Interpretation Tschernobyls als religiöse Prophezeiung und die Wut darüber, dass die kom­munistische Führung in Moskau die Katastrophe verharmloste, liessen die grüne Bewegung und die separatistischen Kräfte in der Ukraine und in Belarus erstarken. Die atomare Apokalypse war also nicht nur ein Endzeitszenario, sie setzte zugleich Verän­derungen in Gang.

Vieldeutige Enthüllung

Bereits die Johannesoffenbarung ist geprägt von der Ambivalenz zwischen Ende und Neubeginn. Sie beschreibt neben dem Weltun­tergang, der Angst macht, auch die Hoffnung auf Gerechtigkeit.

Wer sich mit der Apokalypse schwertut, ist in guter Gesellschaft.

Vielleicht lassen sich in einer Zeit, in der sich die Krisen überschneiden, weltweit unzählige Menschen auf der Flucht sind und in Europa Krieg herrscht, Hitzewellen und Überschwemmungen jeden Sommer die Schlagzeilen domi­nieren, aus der Verheissung, dass eine gerechte Welt möglich ist, Fun­ken der Hoffnung schlagen.

Zwar wird Apokalypse als Weltuntergang verstanden, eigentlich bedeutet das Wort aber Enthüllung, Offenbarung. In ihren grellen Bildern bleibt sie vieldeutig. Die Zah­lenkombinationen, mit denen der Autor auf Ereignisse und Personen seiner Zeit anspielte, etwa auf Kaiser Nero, der die Christen verfolgte, dienten als Einfallstore für Verschwörungstheorien.

Glückliche Irrtümer

Als Teil des biblischen Kanons blieb die Offenbarung umstritten. Re­formator Martin Luther hätte sie am liebsten aus dem Neuen Testament gekippt. Huldrych Zwingli und Johannes Calvin haben über fast alles geschrieben, was in der Bibel steht, nur nichts über die Offenbarung.

Wer sich mit ihr schwertut, ist also in guter Gesellschaft. Und bisher haben sich all die Menschen, die seit biblischen Zei­ten die Zeichen des Untergangs deutlich erkannt haben und sich zur letzten Generation zählten, geirrt. Gott sei Dank.