Zuhören ist für sie das Wichtigste

Hochzeit

Eine interkulturelle Ehe ist herausfordend. Corinne Stillhard und Rachid Chouad wachsen daran.

Am 3. Juni 2006 spielte in der Zwölfbotenkapelle des Zürcher Grossmünsters ein Mann Tabla, eine kleine Handtrommel, dazu tanzte eine Frau barfuss: Corinne Stillhard und Rachid Chouad trugen gleich selbst zu ihrer Hochzeitszeremonie bei. Sowohl ein Pfarrer als auch ein Imam segneten ihre Ehe. 

«Es war wunderschön – mit vielen lieben Menschen, Blumen, Musik, starker, guter Energie», erzählt Corinne. Im Kreuzgang des Grossmünsters teilten die beiden danach Milch und Datteln, ein traditionelles muslimisches Hochzeitsritual.

Eine Kraft ohne Grenzen

Als die zwei beschlossen, die Fernbeziehung zwischen Paris und Zürich zu beenden und zu heiraten, war von Anfang an klar, dass sie dies in einer Kirche mit einem interreligiösen Ritual tun wollten. Vor Gott, der für sie eine liebende, stärkende Kraft ist, die keine Grenzen der Religionszugehörigkeit kennt.

Zuerst eckten sie mit ihrem Plan überall an. Eine interreligiöse Trauung schien weder auf muslimischer noch auf christlicher Seite möglich. Nach vielen Absagen stiess das Paar beim damaligen Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist auf offene Türen. Und auch der bosnische Imam Sakib Halilovic, heute Gefängnisseelsorger in der Pöschwies, liess sich gewinnen. «Er rezitierte Koranverse auf Arabisch, was sehr wichtig war für meine Familie aus Marokko», sagt Rachid.

Eine wunderbare Ruhe zwischen dem Menschen und Gott stellt sich im Ramadan ein.
Rachid Chouad

Der Glaube begleitet das Paar auch im Alltag. Soeben hat Rachid den Ramadan beendet. Er hängt an der muslimischen Fastenzeit. «Eine wunderbare Ruhe zwischen dem Menschen und Gott stellt sich dabei ein.» Auch für Corinne ist die Fastenzeit Raum für innere Einkehr. Für Fragen wie: Was haben Christus, Maria, all die grossen Meisterseelen für Botschaften für mich?

Rachid betet fünfmal am Tag. Als Tänzerin sehe sie, dass es alles Wichtige für den Körper enthalte: beugen, strecken, bewusst atmen, sagt Corinne. «Das hat eine starke Wirkung, sogar, wenn man die Worte nicht versteht.» Sie selber, katholisch aufgewachsen, hat sich einen kleinen Ort der Stille und Inspiration eingerichtet, mit Kerzen, Blumen, Zeichnungen. «Sie macht wunderschöne Bilder aus anderen Dimensionen», erzählt ihr Mann.

Immer vor allem zuhören

Ihren Glauben mag die Tanzlehrerin nicht in Worte sperren. «Glaube ist für mich, was ich im Alltag lebe – Lebensfreude und Lebenskraft teilen, achtsam sein mit den Menschen um mich herum.»

Die beiden verschweigen nicht, dass eine interkulturelle Beziehung herausfordernd ist. «Ich musste meine immer gleiche Reaktion ‹Bei uns ist das anders› überwinden und herausfinden, was ich selber machen kann, um heimisch zu werden», berichtet er.

Unsere Liebe bringt uns manchmal an Grenzen, um immer weiterzuwachsen.
Corinne Stillhard und Rachid Chouad

Auch seine Frau war herausgefordert. Ihr Freundeskreis betonte oftmals den «Exotikfaktor», stellte unnötige Fragen und reagierte irritiert, wenn Rachid ein Treffen nach Lust und Laune verliess, wie das für ihn kulturell vollkommen normal war. «Es gab zahlreiche Unterschiede zu bewältigen.»

Dem Paar half jedoch die Kunst des Zuhörens. «Der Mensch hat zwei Ohren und einen Mund», sagt Rachid. Für ihn gilt: «Zweimal mehr zuhören als reden.» Zuhören, dann über Schwierigkeiten sprechen, Lösungen finden, die es vielleicht bald wieder zu ändern gilt. Daran hält sich das Paar seit zwanzig Jahren.

Spürbarer Respekt

Die Früchte dieser Beziehungsarbeit sind im Gespräch spürbar. Da ist viel gegenseitiger Respekt – in der Mimik und Gestik, im Tonfall, im Nachfragen, ob der andere etwas hinzufügen oder anders ausdrücken möchte. Die beiden stellen einhellig fest: Ihre Liebe verändere sich stetig. «Sie bringt uns manchmal an Grenzen, um immer weiterzuwachsen.» Und sie sei klarer und leuchtender geworden.