Recherche 20. Dezember 2017, von Thomas Illi

Das Dilemma um die Willkommenskultur

Kasualien

Im Aargau können Brautpaare, die auswärts heiraten, versuchsweise Zusatzkosten von der Landeskirche zurückfordern.

«Für die Mitglieder sind die Dienste in ihrer Kirchgemeinde grundsätzlich unentgeltlich.» Diese Passage in der Kirchenordnung klingt auf den ersten Blick positiv. Sie bedeutet aber, dass für Taufen, Trauungen und Abdankungen, für die so genannten Kasualien, erhebliche Kosten anfallen können, wenn sie nicht in der eigenen Kirchgemeinde erfolgen.

Dass Handlungsbedarf bestehen könnte, hat die Landeskirche etwa aus Publikumsreaktionen bei den Auftritten an den Aargauer Hochzeitsmessen erkannt. «Es war aber schon länger ein Thema, für viele Menschen ein Stein des Anstosses», sagt David Lentzsch, Pfarrer und bei der Landeskirche für Gemeindeberatung zuständig. Eine im Sommer 2016 gestartete Vernehmlassung zum Projekt «unentgeltliche kirchliche Handlungen» ergab allerdings ein kontroverses Bild.

Kausaltourismus befürchtet

Zwar wurde eingeräumt, dass «die Willkommenskultur für unsere distanzierten Mitglieder verbessert» werden müsse. Aber es gab auch Stimmen, die bei einer Gesetzesänderung «Churchhopping» und «Kasualtourismus» befürchten. Davon betroffen wären wohl vor allem beliebte Aargauer Hochzeitskirchen wie etwa Bözberg oder Staufberg. Auch wurde kritisiert, dass ein «Eingriff von oben in die Tarifgestaltung» der autonomen Organisation der Kirchgemeinden im Aargau widerspreche.

Der Kirchenrat entschied sich nun, vorerst auf eine Synodenvorlage mit konkreten Weisungen zu verzichten und dafür eine dreijährige Versuchsphase zu beginnen, die sich auf auswärtige Trauungen beschränkt. «Sie sind das dringlichste Problem», so der Kirchenrat. Während dieser Versuchsphase können sich Brautpaare, die auswärts heiraten, die Kosten von der Landeskirche zurückerstatten lassen: für die Nutzung der Kirche inklusive Dienstleistungen von Sigrist und Organistin bis maximal 500 Franken und für pfarramtliche Dienste bis maximal 380 Franken. «Budgetiert sind für den Versuch 10 000 Franken pro Jahr», sagt David Lentzsch von der Gemeindeberatung.

Das vorsichtige Vorgehen des Kirchenrats ist nicht überall gut angekommen. Der Aarauer Pfarrer Daniel Hess bezeichnete in einem Brief an den Kirchenrat den Verzicht auf eine Synodenvorlage als «mutlos und fatal». Der Entscheid torpediere das Projekt «Lebenslang Mitglied bleiben», schreibt Hess, der selber von auswärtigen Brautpaaren nichts verlangt. «Können wir uns in der heutigen Zeit diese zögerliche Haltung tatsächlich noch leisten?», fragt Daniel Hess. «Churchhopping» und «Kasualtourismus» seien zwar «griffige Schlagworte». Das eigentliche Problem sei, «dass Kasualien, zumindest im städtischen Umfeld, immer weniger nachgefragt werden.»