Recherche 23. April 2015, von Michael Hugentobler

Ja, ich will – bald vermehrt wieder in der Kirche?

Heiraten

Die Zahl der kirchlichen Trauungen hat in den letzten Jahren abgenommen. Mit Präsenz an Hochzeitsmessen wollen die Aargauer Kirchen dem Trend trotzen.

Nach sieben Jahren Ehe zogen Andrea und André Zehnder letzten September wieder Brautkleid und Anzug an. Sie waren erstaunt und auch etwas stolz, dass sie noch hineinpassten. Auf dem Kirchberg in Küttigen liessen sie sich vor der Kirche fotografieren.

Teil der Kultur. Dies war allerdings nicht ihre zweite Hochzeit, sondern sie standen – zusammen mit einem katholischen Paar – Modell für eine Broschüre, die vor wenigen Tagen auf der «Hochzeits-Expo» in Lenzburg auflag. Die Broschüre entstand als Zusammenarbeit der reformierten, römisch-katholischen und christkatholischen Landeskirche, die gemeinsam einen Stand an der Messe betrieben. Sie wollten mit ihrem Auftritt daran erinnern, dass Heiraten durch die kirchliche Trauung eine besondere Dimension bekommt. Von dieser Dimension ist auch André Zehnder überzeugt. Als Familie seien sie zwar bei Weitem nicht jeden Sonntag in der Kirche anzutreffen, sagt er, aber die kirchliche Heirat sei ein Teil der Schweizer Kultur.

Die Entwicklungen der kirchlichen Trauungen lassen die Landeskirchen aufhorchen. Im Kanton Aargau heirateten letztes Jahr 3123 Paare, aber nur 254 von ihnen feierten in der reformierten Kirche. Vor zwanzig Jahren waren es noch drei Mal so viele gewesen. Bei katholischen Trauungen sieht es ähnlich aus. Ein Blick nach Deutschland, Österreich und Frankreich zeigt, dass auch dort die Hochzeiten hauptsächlich ausserhalb der Kirche stattfinden. Das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut beschäftigte sich vor einem Jahr mit diesen Zahlen, und Studienautor Roger Husistein sagte damals, die Eheschliessung sei in der öffentlichen Wahrnehmung ein rein weltliches Ereignis geworden, das auch ohne religiöse Dimension stattfinden könne. Man braucht sich nur unter den Zwanzig- bis Vierzigjährigen umzuhören, und da klingt es so: «Ich bin mir nicht sicher, ob die Kirche für mich der richtige Ort ist – wenn ich sowieso nie hingehe, warum soll ich dann für die Hochzeit in die Kirche?» – «Es macht für mich keinen Sinn, vor Gott zu heiraten, denn es ist doch ein Versprechen gegenüber dem Partner.» – «Meine perfekte Hochzeit wäre bei Vollmond unter einem Sternenhimmel, das geht in der Kirche nicht.»

Und doch wünschten sich die meisten bei genauem Nachfragen die Zeremonie: einen ruhigen und spirituellen Ort; den Gang zum Altar; den Anzug oder das Kleid mit Schleppe.

Zeremonie mit Gewicht. Das Ehepaar Zehnder heiratete auf dem Staufberg, der zwischen Schafisheim und Lenzburg aus der Ebene schaut wie der Buckel eines Wals. In dieser Kirche war Andrea Zehnder getauft und konfirmiert worden. Für sie ist die Kirche ein roter Faden, der durch das Leben führt. «Es ist ein Ort der wichtigsten Stationen, von der Freude über eine Taufe oder eine Hochzeit, bis zur Trauer über eine Beerdigung», sagt sie. Eine Zeremonie bekomme mehr Gewicht, wenn sie in der Kirche stattfinde. «Schon der Schlag der Glocken symbolisiert für mich die Tiefe des Lebens und ich werde daran erinnert, was mir wirklich wichtig ist.»

Da die Gesellschaft im Wandel ist und sich Werte verändern, beantworteten an der Hochzeitsmesse in Lenzburg zwanzig Seelsorgende die Fragen von Brautpaaren, etwa: Darf unsere Band in der Kirche spielen? Können wir auch am See oder im Wald heiraten? Was, wenn mein Partner eine andere Religion hat als ich? Was, wenn mein Partner dasselbe Geschlecht hat wie ich? Und auch die Frage: Wie finde ich einen Pfarrer oder eine Pfarrerin, die uns traut? Denn natürlich hat auch die Persönlichkeit des Pfarrers einen Einfluss auf die Hochzeit.

«Wir haben über das Leben, über Gott und Religion gesprochen, und dabei hatte ich immer wieder das Gefühl, zu den Wurzeln des Lebens zu kommen», sagt Andrea Zehnder über das Vorgespräch mit dem Pfarrer. Diese Begleitung sei ihr wichtig gewesen und sie habe den Eindruck gehabt, dass der Pfarrer sie beide habe kennenlernen wollen – und zwar mehr als nur auf der Oberfläche. Bereichernd für die Beziehung, sagt André Zehnder, seien auch die Gedanken über das Trauversprechen gewesen, das sie sich gemacht hätten. «Es war eine Gelegenheit, uns zu überlegen, was wir aneinander haben, und was wir einander für sie Zukunft mitgeben wollen.»

Bedürfnis besteht. Frank Worbs, Leiter Kommunikation der reformierten Landeskirche Aargau, hat den Auftritt an der Hochzeitsmesse organisiert: «Die Kirchen müssen lernen, ihre Angebote deutlich vorzustellen – auch wenn ­einige dieser Angebote früher aus Tradi­tion selbstverständlich waren.» Dies sei ­eine Art Marketingmassnahme. Bereits die Erfahrungen an vergangenen Hochzeitsmessen in Zürich und Bern hätten gezeigt, dass in der Bevölkerung ein Bedürfnis bestehe.

Als sich die Zehnders für das Shooting zur Verfügung stellten, war das für sie ein kleines Abenteuer, ihre Hochzeit nochmals zu erleben. Allerdings zeigte sich rasch: Brautkleid und Fotograf machen noch keine Hochzeit aus. Obwohl Passanten ihnen während des Fototermins gratulierten, kam kein Hochzeitsgefühl auf. «Für uns haben Familie, Freunde, die schön geschmückte Kirche und die Musik gefehlt.»