«Das Leben und die Liebe feiern»

Hochzeit

Warum traditionelle Zeremonien wie eine kirchliche Heirat Halt geben und wann auch eine Trennung ein Erfolg sein kann: Darüber spricht der Pfarrer und Therapeut David Kuratle. 

Sie haben 23-jährig geheiratet. Das war auch schon 1987 eher früh. Würden Sie es wieder so machen?  

David Kuratle: Aus der persönlichen Erfahrung: Ja, ich würde wieder so jung heiraten. Es hat für uns einfach gestimmt, wir haben so unserer Liebesbeziehung einen Rahmen gegeben, der für uns wichtig war und auch geholfen hat, unsere Beziehung zu entwickeln.

Und wie beurteilen Sie es aus beruflicher Sicht, als Berater und systemischer Therapeut? 

Mit heutigem Wissen denke ich: Was haben wir bloss gemacht? Wir kamen uns wahnsinnig erwachsen vor. Rückblickend waren wir aber positiv-naiv-vertrauensvoll.

Etwas Kopflosigkeit kann aber auch von Vorteil sein.

Zweifellos. Für mich war damals einfach klar: Wir machen alles zusammen. Und ein Vorteil der Ehe ist auch, dass einige Rahmenbedingungen geklärt sind. Wenn Kinder da sind, wenn man sich wieder trennen würde, wenn jemand stirbt: Mit einer Hochzeit ist vieles geregelt. Natürlich lässt sich das auch ohne zu heiraten machen, aber es ist deutlich aufwendiger.

David Kuratle, 61

Der Theologe arbeitet seit 2003 bei der Beratungsstelle Ehe, Partnerschaft, Familie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Als Pfarrer amtete er ab 1992 in Meikirch. Seit 2022 ist er in Vollzeit auf der Beratungsstelle tätig. Weitergebildet hat er sich in systemischer Psychotherapie und Beratung und emotionsfokussierter Paartherapie. Er ist verheiratet und vierfacher Vater. 

Das klingt ziemlich rational. Welche emotionalen Gründe sprechen fürs Heiraten? 

Ich denke, es kann ganz konkret helfen, der Beziehung mit einem entlastenden Rahmen Entwicklungsmöglichkeit zu geben. Das erfahre ich in meiner Berufspraxis und auch selbst. Rückblickend war bei meiner Hochzeit das Schönste, dass ich vor all den Menschen, die mir wichtig waren, zu meiner Frau sagen konnte: Ja, ich will mich auf dich einlassen und mit dir unterwegs sein. Als Zwang empfand ich das nie, und es hat mir tatsächlich manchmal in Krisen geholfen.

Für Sie ist eine Hochzeit also kein Überhöhen eines privaten Aktes? 

Nein, nicht grundsätzlich. Rituale sind meines Erachtens wichtig, ganz besonders in der heutigen, vermeintlich so rational geprägten Zeit. So finde ich es denn nicht erstaunlich, dass es in allen Religionen Zeremonien gibt für Hochzeiten und weitere wichtige Stationen im Leben: die Begrüssung und Taufe eines neugeborenen Menschen, der Übergang in die Erwachsenenzeit, dann die Hochzeit und schliesslich die Beerdigung. Beim Heiraten das Leben und die Liebe zu feiern: Das ist schön und hilfreich.

Sie haben Ihre frühe Heirat positiv erlebt. Kann es auch sinnvoll sein, bewusst spät zu heiraten? 

In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass es gut sein kann, Erfahrungen zu sammeln als Single, im WG-Leben. Je mehr ich mich selbst kenne, desto besser kann ich mich auf eine Beziehung einlassen. Das sehe ich auch bei mir: Ich kenne meine Handlungsmuster laufend besser, etwa, dass ich die Tendenz habe, nichts zu sagen, bis es mir plötzlich etwas zu heftig den Deckel lupft. Und darum kann ich heute entsprechend agieren.

Als Pfarrer bei Hochzeitsbesprechungen dachte ich ab und zu mal: Deftig, was die beiden vorhaben!

Früher war es eher verpönt, bei Eheproblemen Hilfe zu suchen. Hat sich das geändert? 

Paare kommen bei Problemen eindeutig früher und merklich weniger schambehaftet zu uns als einst. Es ist heute viel selbstverständlicher, sich Hilfe zu holen, wenn man es als nötig empfindet. Das finde ich erfreulich, und ich halte es für einen eindeutig gesünderen Umgang mit Grenzen und Schwächen, sowohl in persönlicher Hinsicht als auch in einer Paarbeziehung.

Wie gingen Sie in Ihrer Zeit als Pfarrer jeweils vor, wenn Sie sich mit Paaren vor ihrer Hochzeit zur Besprechung trafen? 

Mir war es immer ein Anliegen, mit ihnen zu schauen: Was heisst das für euch, was wollt ihr? Was ist euch wichtig? Was wollt ihr euch allenfalls versprechen – und was sind eure eigenen Worte dafür?

Und wenn sie sich ewige Liebe versprechen wollten? 

Ja, das kam zuweilen auch vor, sogar begleitet vom Schweizer Pop-Hit «Ewigi Liebi». Und ich dachte ab und zu mal: Deftig, was die beiden vorhaben! Grundsätzlich ist es jedoch einfach schön, wenn ein Paar diesen Schritt zeremoniell begehen will. Denn es ist ja schon so, dass wir uns mit einer Heirat auf etwas einlassen, das wir nicht abschätzen können. Und da ist meines Erachtens auch der spirituelle Aspekt wichtig und hilfreich: wenn ich darauf vertrauen kann, dass da eine Kraft ist, die hilft und trägt.

Gerade in einer komplexer werdenden Welt ist das Bedürfnis, ‹mit Haut und Haar› angenommen und verstanden zu werden, in einer Beziehung gross.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass bei Hochzeiten die kirchliche Zeremonie so wichtig wurde? In der Bibel werden Hochzeiten als weltliche Feste geschildert. 

In früheren Zeiten wurde das Weltliche und das Kirchliche noch nicht so deutlich unterschieden, das ging viel mehr ineinander über. Offiziell kam die Trauung tatsächlich erst ziemlich spät in die Kirche: Erst um 1550 hielt die katholische Kirche mit dem Konzil von Trient fest, dass sich die Heiratenden die Ehe als Sakrament vor Zeugen gegenseitig zu spenden hätten.

Warum das? Hochzeiten hätten ja einfach weltlich bleiben können. 

Hochzeiten waren schon lange ein wichtiges Ereignis im Leben der Menschen. Hier präsent zu sein und mitbestimmen zu können, war für die Kirche aus diesem Grund zentral. Damit konnte sie auf die Menschen Einfluss ausüben – und dazu natürlich Druck und Macht. Schön finde ich aber, dass in der katholischen Kirche beide Heiratenden einander gegenseitig den Segen geben.

Was ist nach Ihren Erfahrungen das Wichtigste, um zumindest möglichst lange als Paar gut zusammenleben zu können? 

Eine gute Grundlage bilden Vertrauen und Respekt, gepaart mit emotionaler und körperlicher Nähe. Gerade in einer komplexer werdenden Welt ist das Bedürfnis, «mit Haut und Haar» angenommen und verstanden zu werden, in einer Beziehung gross. Hilfreich sind natürlich auch Tools wie Kommunikations- und Konfliktfähigkeit.

Letztlich geht es um das: herauszufinden, was beide wollen, und einen Weg zu finden, zu dem beide Ja sagen können.

Und da kann eine traditionelle Hochzeit helfen? 

Ja, ich denke schon. Es kann heute durchaus anstrengend sein, was wir alles kreieren und wie originell wir sein müssen. Sich dann einfach einzureihen in eine Tradition wie die der Hochzeitszeremonien, kann etwas sehr Entlastendes haben und uns zudem frei machen für das, was tiefer liegt.

Wie direkt und ehrlich können Sie die Probleme Ihrer Kundschaft bei der Beratung ansprechen? 

Grundsätzlich bin ich ehrlich. Doch manchmal sichere ich mich mit der Frage ab, ob ich ehrlich sein darf. Und es kann vorkommen, dass mir nicht wohl ist, dann etwa, wenn ich zum Geheimnisträger von einem der Partner werden sollte oder wenn ich spüre, dass Gewalt im Spiel ist. Manchmal fasse ich meine Ansicht dann in eine Geschichte. Und manchmal finden sich die Paare in Lösungen, bei denen ich Bedenken habe. Aber in diesem Fall nehme ich mich einfach zurück.

Ihr Hauptziel ist also nicht, dass möglichst alle Paare zusammenbleiben, die zu Ihnen kommen? 

Die berührendsten Momente in der Beratung sind für mich jene, wenn es uns gelingt, die Geschichte des Paares gemeinsam zu würdigen. Letztlich geht es um das: herauszufinden, was beide wollen, und einen Weg zu finden, zu dem beide Ja sagen können. Das ist ein Erfolg, ob es danach zusammen weitergeht oder auch nicht.