Schwerpunkt 23. August 2023, von Felix Reich

Die Prophetie des Untergangs kehrt zurück

Apokalypse

In der Klima-Diskussion ist apokalyptische Rhetorik präsent. Auch die Position, aus der Wissenschaft und Klimaschutzbewegungen argumentieren, gleicht jener der biblischen Autoren.

Zuweilen klingt Roger Hallam wie ein Prophet. Der Mitbegründer der radikalen Klimabewegung Extinction Rebellion warnt vor einem «Ge­nozid durch Unterlassen», wenn die Trägheit demokratischer Prozesse Massnahmen gegen die Klimakatastrophe verzögert. Und wie die biblischen Autoren apokalyptischer Schriften liefert er den Grundriss für ein neues Jerusalem, indem er die Gesellschaft neu denkt und demokratische Prinzipien zumindest ritzen will für den Klimaschutz.

«Wir leben in apokalyptischen Zeiten», sagt Georg Pfleiderer, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Basel. In ihrer Geschichte sei die Menschheit wohl noch nie so nahe daran gewesen, sich der Lebensgrundlagen zu berauben. «Es scheint eine Entschei­dungszeit angebrochen.»

Davon gingen auch biblische Autoren aus. Apostel Paulus ist kaum zu verstehen ohne das Wissen, dass er sich in einer Endzeit wähnte. Das Christentum sei eine apokalyptische Religion, sagt Pfleiderer.

Analyse und Prognose

Die Apokalyptik hat allerdings das Fach gewechselt. Statt von Gott emp­fangene Visionen geben komplexe Rechenmodelle den Zeitplan bis zum Untergang vor. Wie die mahnenden Stimmen in der Bibel beschreibt das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erste Anzeichen für das drohende Ende. Der Klimawandel wirke sich bereits auf Wetter­extreme aus, ist im neusten Sach­standsbericht zu lesen: «Dies hat zu weitverbreiteten nachteiligen Folgen und Verlusten und Schäden für Natur und Menschen geführt.»

Verwundbare Bevölkerungsgruppen, die historisch am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismässig stark betroffen.
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)

Die Situationsanalyse sei auch ein Element der biblischen Apokalypse, sagt Pfleiderer. So beschreibe das Buch Daniel im Alten Testament in beinahe wissenschaftlichem Jargon die weltgeschichtliche Situation. Und Johannes packt in die neutestamentliche Apokalypse, die als Trostbuch für bedrängte Christinnen und Christen und nicht als Horrorvision gedacht war, zahlreiche Verweise auf zeitgenössische Persönlichkeiten und Entwicklungen.

Wer den Blick von den biblischen Apokalypsen im engeren Sinn auf die Bücher der Propheten lenkt, erkennt weitere Bezüge. Während die Propheten Rettung durch Umkehr versprechen, formuliert das IPCC Empfehlungen «für die politische Entscheidungsfindung» und bewertet regelmässig die «vorangeschrittenen Anpassungsmassnahmen mit nachgewiesenen Nutzen und unterschiedlicher Wirksamkeit».

Wer am wenigsten Schuld hat, leidet zuerst

Allerdings hat das biblische Versprechen, dass gerettet wird, wer nur rechtzeitig umkehrt und die Gesetze Gottes befolgt, in seiner säkularisierten Variante ausgedient. So beschreibt das IPCC die Dualität unter anderen Vorzeichen: «Verwundbare Bevölkerungsgruppen, die historisch am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismässig stark betroffen.» Das ist die Klima-Ungerech­tigkeit: Jene, die, moralisch gesprochen, am wenigsten Schuld auf sich geladen haben, leiden zuerst.

Die Einsicht, dass die Katastrophe auch Unschuldige trifft und mensch­liches Handeln fatale Auswirkungen auf Natur und Tierwelt hat, ist schon der alttestamentlichen Mythologie eingeschrieben. Eindrücklich erzählt die Sintflut-Geschichte davon. Weil er «ein gerechter Mann und vollkommen war unter seinen Zeitgenossen» (Gen 6,9), bleibt Noah mit seiner Familie von Gottes Zorn zwar verschont. Jedoch der Tod aller Tiere, die auf der Arche keinen Platz finden, und die Zerstörung der Schöpfung sind keine Stra­fe, sondern die unmittelbare Konsequenz der mensch­lichen Bosheit.

Dass der Mensch die Welt selbst ruinieren könn­te, war für die biblischen Autoren undenkbar.
Georg Pfleiderer, Professor für Theologie

Im religiösen Kontext bleibt der Weltuntergang also immer mit dem Gericht verknüpft, er ist allein die Sache Gottes und unterliegt einer moralischen Kausalität. «Dass der Mensch die Welt selbst ruinieren könn­te, war für die biblischen Autoren undenkbar», sagt Pfleiderer.

Zeigt sich Gott am Ende der Sintflut reuig und lässt den Regenbogen leuchten zum Zeichen, dass er die Welt nie mehr untergehen lassen will, so gilt in den apokalyptischen Erzählungen das Desaster als Durch­gangsstation zum Heil. Es lässt sich nicht abwenden und dient der Überwindung einer als ungerecht empfundenen Gegenwart.

Theologie fremdelt mit Apokalypse

Die Vorstellung, dass eine unabwendbare Katastrophe die Gerechten von den Verdorbenen trennen und eine neue, bessere Welt bringen wird, machte die Apokalypse anschlussfähig für fundamentalistische Bewegungen. Vielleicht auch deshalb fremdelt die akademische Theologie mit der Apokalypse.

Die beschriebenen Phänomene sind beängstigend real.
Georg Pfleiderer, Professor für Theologie

Metaphorisch gelesen, könnten die biblischen Endzeittexte den Diskurs bereichern. «», sagt Pfleiderer. Auch die Position, aus der alte religiöse und die neuen wissenschaftlichen Apokalypsen argumentieren, ist dieselbe: das Gefühl, am Abgrund zu stehen, am Punkt, an dem das Unheil gerade noch abgewendet werden kann, bevor es endgültig zu spät ist. Deshalb sind Apokalypsen wohl eher Predigten, die zur Umkehr bewegen wollen, als Prognosen.

Was auf dem Spiel steht

Aus christlicher Sicht stehe «mehr auf dem Spiel als der Wohlstand», betont Pfleiderer. Ent­schei­dend sei die Frage, wie der Mensch vor Gott dastehe. «Die Bibel lehrt, dass ein gottgewolltes Leben ohne Umkehr und Verzicht unmöglich sein wird.»

Oft erzählen biblische Texte, die das nahe Ende verkünden, auch davon, dass die Wende dank Gottes Gnade möglich ist und sich Angst in Hoffnung verwandeln lässt. Darin erkennt Pfleiderer die Ermutigung, «in getroster Zuversicht statt in Verzweiflung und Panik» die nötigen Schritte zu gehen, um die Kata­strophe abzuwenden.