Hände sind Werkzeuge der heilenden «Christusenergie»

Hände

Jesus tat es, die Apostel und viele Freiwillige in Kirchgemeinden tun es heute auch: Beim Handauflegen im christ­lichen Kontext leiten die Hände die «Segenskraft Gottes» weiter.

Schauplatz Offene Citykirche St. Jakob, mitten in Zürich. Jeden Samstagmorgen kann man sich hier zwischen 10 und 13 Uhr Hände auflegen lassen. Ein Infovideo spricht von einem über 3000-jährigen «Schatz der spirituellen Heilung», der hier zur Anwendung komme, ein Flyer umschreibt das Angebot als «praktisch gelebte Seelsorge» und «Dienst der Liebe am Nächsten», der ausserhalb des Gottesdienstes, aber in der Kirche stattfindet.

Vorn im Chorbereich stehen links und rechts Paravents als Sichtschutz und trennen so zwei Behandlungsräume ab. Dahinter stehen Stühle mit Polsterung bereit. Ein Mann bit­tet mich, Platz zu nehmen, und erklärt den Ablauf: Er werde «die Christuskraft erbitten», durch seine Hände zu wirken. Das Ritual dauere rund 20 Minuten.

Viele Hände im Dienst

Er empfiehlt, ein Anliegen zu formulieren, um es vor Gott zu bringen. Das sei hilfreich, ich könne aber auch einfach schweigen. Er lenkt meinen Blick auf das geschnitzte Reliefbild an der Kanzel: Dort hält eine Mutter ein Kind im Arm, Jesus segnet es mit den Fingern an der Stirn. Der Mann schlägt mir vor, während des Handauflegens mit der Betrachtung des Bildes fortzufahren und dabei Gott mein inneres Kind hinzuhalten.

Lege dem Kranken die Hände auf und sprich: ‹Friede sei mit dir, lieber Bruder, von Gott, unserem Vater, und vom Herrn Jesus Christus.›
Martin Luther, 1545

Die Atmosphäre ist angenehm; nebenan brennen die Kerzen am Adventskranz, Teile der Krippe sind erkennbar. Der Handaufleger eröffnet das Ritual im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit einem Gebet um Unterstützung. Danach stellt er sich neben mich und hält die Linke in der Höhe des Herzraums an den Rücken. Eine feine Berührung.

Erst ganz zum Schluss legt er hinter mir stehend beide Hände auf meine Schultern und spricht einen Segen «im Namen der Liebe». Beim anschliessenden Geplauder verrät er, dass er diese Art der Freiwilligenarbeit hier schon seit 15 Jahren mache, «mit Jesus als Bruder an meiner Seite». Seine Hände sind zwei von dreissig, die hier wechselnd im Einsatz sind. Nach Zürich kam das Handauflegen im Kirchenraum bereits vor 25 Jahren – von der Elisabethenkirche in Basel, die in Sachen Seelsorge durch die Hände Pionierarbeit leistete. Mittlerweile gibt es auch in Thun, Luzern, Zug, Baden, Dürnten oder Pfäffikon ZH entsprechende Angebote.

Zurückhaltende Reformierte

Zu Beginn wurde diese Form der Körperarbeit von den Reformierten etwas beargwöhnt, aber die Pionierinnen und Pioniere konnten auf prominente Fürsprache verweisen: «Lege dem Kranken die Hände auf und sprich: ‹Friede sei mit dir, lieber Bruder, von Gott, unserem Vater, und vom Herrn Jesus Christus.›» Das schrieb Martin Luther 1545 einem Pfarrkollegen als Rat für den Umgang mit einem Kranken.

Handauflegen ist eine ganz natürliche Geste der Zuwendung, und wir wissen aus Erfahrung, dass es hilft.
Anemone Eglin, ehemalige Pfarrerin und Kirchenrätin

So überraschend ist das nicht, denn Jesus selbst heilte nach biblischem Zeugnis mit den Händen und sandte die Apostel aus, es ihm gleichzutun. Das Handauflegen ist allerdings weit älter als das Christentum. Bereits im alten Ägypten legte man bei religiösen Zeremonien die Hände auf, und in Indien wird es seit 3500 Jahren praktiziert: «Die Hände bringen Heilung dir, mit beiden rühren wir dich an», so steht es in einer der ältesten vedischen Schriften geschrieben.

Schale sein und nicht Kanal

«Handauflegen ist eine ganz natürliche Geste der Zuwendung, und wir wissen aus Erfahrung, dass es hilft», sagt Anemone Eglin. Eltern tun es ganz selbstverständlich bei ihren Kindern, wenn es irgendwo schmerzt. Jedoch sei das Handauflegen im kirchlichen Umfeld mehr als bloss eine Art von «Heile, heile Säge» für Erwachsene.

«Beim Handauflegen öffnen sich zwei Menschen gemeinsam für die Segenskraft Gottes», führt Eglin aus. Die ehemalige Zürcher Kirchenrätin und pensionierte Pfarrerin praktiziert und propagiert das Handauflegen im christlichen Kontext seit Jahren. Man könne die Kraft, die dabei fliesse, auch «Christusenergie» oder «Liebe» nennen.

Für mich ist das eine gute Methode, um Körper, Geist und Seele zusammenzubringen.
Thomas Bachofner, Leiter Weiterbildungsinstitut der reformierten Landeskirche Thurgau

Um die Funktion der Handauflegenden zu beschreiben, benutzt Eglin gern das Bild der Schale, die sich füllt; den überfliessenden Teil geben die Hände weiter. «Das Herz der Praxis ist absichtsloses Geschehenlassen im Vertrauen.» Im Idealfall gelinge so eine Art «Meditation zu zweit». Eglin gibt Einführungsseminare und erteilt Jahreskurse in Deutschland sowie Intensivkurse in Österreich. Bereits hat sie über 600 Personen im Ritual unterwiesen, und offenkundig wollen immer mehr Menschen das Handauflegen auch selbst praktizieren.

Thomas Bachofner leitet das Weiterbildungsinstitut der reformierten Landeskirche des Thurgaus. Auch er hat neu einen Kurs «Handauflegen – eine alte christliche Tradition» ins Programm aufgenommen. «Für mich ist das eine gute Methode, um Körper, Geist und Seele zusammenzubringen», erklärt er und fügt an: «Wir Reformierten haben ja den Körper lange recht stiefmütterlich behandelt.»

Alle sind dazu fähig

In der Kursausschreibung heisst es: «Handauflegen ist eine Gabe des Heilens, die in jedem Menschen angelegt ist.» Davon ist auch Eglin überzeugt, sie zitiert aus der Bibel: «Kranke, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden» (Mk 16,18). Dies gelte, sagt Eglin, für alle, unabhängig von Amt und Talent. Den­noch gibt es in den Kursen einiges zu trainieren: «die sanfte Berührung, die keinen Widerstand weckt, das Schaffen eines Raumes des Vertrauens, die demütige Haltung, die dienen will, sich aber selbst zurücknimmt und ohne Ziel gesche­hen lässt».