Schwerpunkt 28. Dezember 2022, von Hans Herrmann

Arbeit mit den Händen lässt Raum und Zeit erleben

Hände

Mit den Händen zu arbeiten, sei dem Menschen sehr gemäss, sagt der Möbelschreiner Mathias Jakob. «Herrliche Gefühle» erfährt auch die Keramikerin Regina Salzmann.

Regina Salzmann wirft mit routiniertem Schwung einen Klumpen Porzellanton auf die elektrische Töpferscheibe, bringt diese zum Rotieren und staucht den Klumpen mit beiden Händen so, dass er wie ein schmaler Konus nach oben wächst. Nun drückt sie das Gebilde wieder zu einem Klumpen zusammen und lässt die Masse erneut zwischen ihren Händen hervorwachsen. Zum zweiten Mal drückt sie den Ton ein – um ihm diesmal eine Vertiefung einzudrücken.

Die Geburt eines Gefässes

Den breiten Wulst, der die Vertiefung umgibt, zieht die Burgdorfer Keramikerin nun langsam hoch; dabei wird der Wulst dünner und dünner – und wandelt sich schliesslich zur Wand eines eleganten, becherartigen Gefässes. Mit einem dünnen Draht löst Regina Salzmann den Boden des Gefässes von der Scheibe und hebt es mit beiden Händen sorgfältig hoch. «Ich staune immer wieder über die Festigkeit, die ein frisch gedrehtes Gefäss bereits hat, obwohl der Ton noch weich ist», sagt sie, die mit ihren 65 Jahren zu den erfahrenen Vertreterinnen ihres Berufes gehört.

Ich setze meine Hände bei der Arbeit so ein, dass sie sich gegenseitig stützen und eine Einheit bilden.
Regina Salzmann, Keramikerin

Ausgebildet ist sie als Töpferin, dazu hat sie Kunst studiert. Ihre Arbeit ist Handarbeit in Reinkultur. Beim Töpferhandwerk sind die Hauptwerkzeuge nämlich, wie bereits seit der Jungsteinzeit, die blossen Hände. Sie halten, drücken, formen, führen, ziehen und bestimmen auf diese Weise unmittelbar die Gestalt, die dem Stück Ton abgerungen werden soll.

«Ich setze meine Hände bei der Arbeit so ein, dass sie sich gegenseitig stützen und eine Einheit bilden», erklärt Regina Salzmann. Beim Drehen eines neuen Gefässes geht es zuerst darum, den Ton «in die Ruhe zu bringen», also dergestalt auf der Scheibe zu zentrieren, dass er sich holperfrei um die eigene Achse dreht wie beispielsweise ein perfekt ausgewuchtetes Autorad.

Herrliches Gefühl

Bei diesem Vorgang sind die Hände von entscheidender Bedeutung; sie sind es, die den Ton durch Druck und Gegendruck in die richtige Position bringen. «Dazu braucht es Kraft, die Hände werden müde – aber es ist auch ein herrliches Gefühl, wenn der Ton rund läuft», sagt die Kunsthandwerkerin.

Die Arbeit mit den Hän­den hilft, die Welt im wahrsten Sinn zu begreifen und sich in ihr zu orientieren.
Mathias Jakob, Schreiner und Instrumentenbauer

Auch Mathias Jakob (62) berichtet von guten Empfindungen, von eigentlichen Glücksgefühlen, die er beim Ausüben seines Handwerks erfährt. Er steht an einer Werkbank und poliert gerade eine arabische Laute – eine sogenannte Oud – aus eigener Manufaktur. Nach der obligatorischen Schulzeit absolvierte er eine kaufmännische Lehre, übte diesen Beruf aber nie aus.

Es zog ihn zum Praktischen, deshalb lernte er Möbelschreiner und studierte am Konservatorium Bern auch noch klassische Gitarre. In seiner Werkstatt in der Burgdorfer Kulturfabrik stellt er Massivmöbel her, aus Holz, das er direkt ab Wald kauft und vollständig selbst aufbereitet, dazu Gitarren und Ouds.

Befriedigung und Glück

«Heute lassen sich gefühlt drei Viertel der jungen Leute akademisch ausbilden», sagt er. Viele von ihnen täten dies vor allem der guten wirtschaftlichen Aussichten wegen. Er selber sei bewusst den anderen Weg gegangen, habe sich für das Handwerk entscheiden, weil die Arbeit mit der Hand etwas dem Menschen sehr Gemässes sei.

«Wer mit seinen Händen von A bis Z etwas herstellt, macht etwas Begreifbares, Durchschaubares und Abgeschlossenes.» Ein Möbelstück oder eine Gitarre von eigener Hand – das bedeute für ihn Befriedigung und Glück. Die Arbeit mit den Händen helfe, die Welt im wahrsten Sinn zu begreifen und sich in ihr handfest und geerdet zu orientieren. «Mit den Händen erlebt man letztlich Zeit und Raum.»

Es ist erstaunlich, was die Hand alles leisten kann; sie meistert sogar Ver­richtun­gen im Bereich von Zehntelmillimetern.
Mathias Jakob, Schreiner und Instrumentenbauer

Die menschliche Hand sei ein «ausserordentlich geniales Werkzeug», schwärmt Mathias Jakob. «Es ist erstaunlich, was sie alles leisten kann; sie meistert sogar Ver­richtun­gen im Bereich von Zehntelmillimetern, etwa bei der Arbeit an hoch­­präzisen Uhren oder bei der End­­montage von Elektronik, die sich zum Teil nach wie vor nicht maschinell ausführen lässt.»

Hat der Schreiner und Instrumentenbauer, der auch als Musiker auftritt, keine Angst, er könnte seine Gitarristenhände beim Schreinern in Mitleidenschaft ziehen? «Natürlich gibt es im Handwerk ab und zu Hautläsionen, aber mit der Zeit hat man den Dreh raus; man lernt, wie man etwas am besten anfasst und be­arbeitet, um Verletzungen zu vermeiden», erklärt er. Auch würden Handwerkerhände im Lauf der Jahre wohl allgemein etwas resistenter als Bürohände.

Der Weg zur Meisterschaft

Auch die Töpferin Regina Salzmann macht sich nicht andauernd Sorgen um ihre Hände. «Vermutlich habe ich mich als Kind genug mit diesem Aspekt befassen müssen», meint sie. Denn als Vierjährige hatte sie einen Unfall mit Elektrizität, zwei Finger gerieten dabei so in Mitleidenschaft, dass der Chirurg sie sogar amputieren wollte.

Ich wollte mir und allen anderen beweisen, dass ich trotz zwei amputierten Fingern machen kann, ich spielte Klavier und Flöte, dann erlernte ich auch noch einen handwerklichen Beruf.
Regina Salzmann, Keramikerin

Die Mutter intervenierte, die beiden Finger blieben dran und verheilten, zurück blieb eine gewisse Steifheit. «Ich wollte mir und allen anderen beweisen, dass ich trotzdem alles machen kann, ich spielte Klavier und Flöte, dann erlernte ich auch noch einen handwerklichen Beruf», berichtet Salzmann. Den Beruf, den sie bis heute ausübt.

Dranbleiben – das gehört auch für Mathias Jakob fest zum Handwerk. «Es braucht Feuer und Training, und mit den Jahren wird man gut», lautet sein Credo. Dieser Prozess, dieses qualitative Wachstum habe etwas Befriedigendes und Abgerundetes.