Schwerpunkt 27. Dezember 2023, von Rita Gianelli, Redaktion reformiert.

Den Menschen bewusst machen, was Kirche leistet

Warum Kirche

Die Kirche ist heute eine von vielen unter den sinn- und gemeinschaftsstiftenden Institutionen. Deshalb, sind sich Werbefachleute einig, soll sie mehr und gezielter kommunizieren.

Mit Reklame, so erklärte der Basler Theologe Karl Barth (1886–1968) einmal, mache sich die Kirche einem Händler vergleichbar und stelle sich selbst infrage. Diese Einstellung gegenüber «Reklame» ist unterdessen veraltet – wie der Begriff selber auch. Heute spricht die Werbebranche lieber von Kirchenmarketing und Dialogkommunikation.

Dass Marketing nötig ist, weiss man unterdessen auch in der reformierten Kirche. Bereits vor knapp 20 Jahren fand in Zürich zum Thema «Kirche und Marketing? Ökonomische Methoden und ihre Grenzen» eine Tagung statt. Organisiert wurde der Anlass von Cla Famos.

Marketing hilft, kirchliche Arbeit zu reflektieren und besser zu machen.
Cla Famos, Theologe, Jurist, Politiker

Dies inspirierte daraufhin den Theologen und promovierten Juristen, seine Habilitationsschrift dem Thema «Kirche zwischen Auftrag und Bedürfnis» zu widmen. «Marketing kann helfen, die kirchliche Arbeit zu reflektieren und besser zu machen», sagt Famos. Auch Kirche müsse sich immer wieder neu an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.

«Lange bewegte sich die Kirche in einem abgeschotteten Markt», erklärt Famos, «ihre dominante Position hat sie bereits vor einiger Zeit verloren.» Heute sei sie einer von zahlreichen Playern in einem religiösen Markt mit einer breiten Palette an Anbietern.

Ein schwieriger Spagat

Sich darin zu behaupten, ist gerade für die reformierte Kirche eine Herausforderung. Denn sie will alle ansprechen, von der alleinerziehenden Mutter über den konservativen Rentner bis zum queeren Jugendlichen. «Marketingtechnisch hat die katholische Kirche viel mehr Potenzial», sagt Guido Wietlisbach, Marketing- und Kommunikationsberater in Zürich. Dies, weil sie sich klarer abgrenze und klarer positioniere. «Dafür steht die reformierte Kirche näher bei den Menschen.»

Wietlisbach hat mit dem Pfarrer, Journalisten und einstigen Kommunikationsleiter der Aargauer Landeskirche Frank Worbs in den letzten Jahren einige viel beachtete Kirchenkampagnen realisiert. Auch Worbs betont, dass die Kirche mehr kommunizieren müsse.

Leider ist Kommunikation nicht gerade eine Stärke der Kirche.
Frank Worbs, Pfarrer, Kampagnenmacher

«Leider ist das nicht gerade eine Stärke der Landeskirchen», sagt Worbs. Dabei fehlt es der Kirche nicht an sogenannten Touchpoints, Berührungspunkten zwischen Kunden und Unternehmen. Es sind dies die Lebensumbrüche der Menschen: Geburt, Scheidung, Umzug, Stellenwechsel und andere.

Kommunikation mit nicht aktiven Migliedern ist wichtig

Die im Jahre 2017 von Wietlisbach und Worbs lancierte Kampa­gne «Lebenslang Mitglied bleiben» präsentiert eine Palette an Handlungsmöglichkeiten und zeigt auf, dass die Kommunikation gerade mit den nicht aktiven Mitgliedern wichtig ist. Oftmals bringt bereits Kleines viel: eine Geburtstagskarte für die Jubilarin etwa oder ein Telefonat mit Neuzugezogenen.

Doch warum tut sich die Kirche, zu deren Kernauftrag auch die Verkündigung gehört, just so schwer mit der Kommunikation? «Sie hat sich immer noch nicht darauf eingestellt, dass sie nicht mehr der Ort ist, wo man sich trifft, versammelt und begegnet», sagt Frank Worbs. Die Kirche sei für breite Teile der Gesellschaft schlicht nicht mehr relevant.

Diesen Verlust könne man nicht mit Werbung und neuen Angeboten wettmachen. Vielmehr sei ein Perspektivenwechsel nötig. Es gelte, das Blickfeld zu öffnen auf die Gruppe der «Kontaktlosen», also jener Mitglieder, die zwar die Kirchensteuer bezahlen, in der Kirchgemeinde aber nicht wirklich sichtbar sind. «Sie leisten als Steuerzahlende wertvolles finanzielles Engagement, wissen jedoch bloss sehr wenig von ihrer Kirche.»

Es ist uns gelungen, die Kirche in den Blick der Gesellschaft zu bringen.
Curdin Mark, Kirchgemeindepräsident Chur

Dass eine Kirchgemeinde lebt, gehöre professionell kommuniziert. «Ein Branding lancieren», so nennt es Wietlisbach. Dazu eignen sich Renovationen, Einweihungen oder Jubiläen wie etwa «500 Jahre Reformation Johannes Comander», das 2023 in Chur stattgefunden hat.

Die reformierte Kirche Chur wollte die Bedeutung des Churer Reformators für die Geschichte Graubündens in möglichst breiten Kreisen bekannt machen. Diese Kampagne mit kulturellen, historischen, gesellschaftspolitischen und spirituellen «Leuchttürmen» richtete sich vor allem an die nicht aktiven, «unsichtbaren» Kirchenmitglieder. Die Botschaft lautete: Die Werte der Reformation, etwa Gleichberechtigung wie auch Teilhabe, haben bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.

Ins Schwarze getroffen

Die Bilanz des Churer Kirchgemeindepräsidenten Curdin Mark fällt positiv aus: «Es ist uns gelungen, die Kirche wieder in den Blick der Gesellschaft zu bringen.» Etwa habe sich die Beteiligung an der Kirchgemeindeversammlung spürbar erhöht. Auch die Besuchszahlen der offenen Regulakirche, wo Diskussionen, Konzerte und Lesungen stattfinden, seien konstant erfreulich.

Schon sechs Jahre zuvor hatte die Kirche ein Jubiläum gefeiert, schweizweit und international: Die Anlässe zu «500 Jahre Reformation» sprachen gezielt auch ein kirchenfernes Publikum an. Mit Erfolg: Der Spielfilm «Zwingli» verzeichnete 250'000 Eintritte, das Multimediaspektakel auf dem Berner Bundesplatz zog 440'000 Menschen an.

Mehr Kircheneintritte bewirkten diese Aktionen zwar nicht. Doch eine Frage befand sich zumindest ein Jahr lang wieder im öffentlichen Fokus: Was, wenn die reformierte Kirche nicht existieren würde?