Das Gebet gibt den Rhythmus vor

Im Kloster

Im Kloster Fahr leben Schwestern nach jahrhundertealten Regeln, das Stadtkloster Zürich verbindet Spiritualität mit Urbanität. Suche nach Gottesnähe und Gemeinschaft eint beide.

Langsam dämmert es. Bei geöffnetem Fenster strömt der Geruch von Heilkräutern in den Raum. Friedlich und noch kühl zeigt sich dieser Hochsommermorgen nahe der Limmat. Es ist zwanzig nach fünf. Zeit für die Benediktinerinnen vom Kloster Fahr, die Vigil zu beten. Schwester Andrea rückt einen Stuhl vor das Fenster ihres Zimmers und beginnt mit der Liturgie des Morgengebets. Später wird sie sagen: «Ich erlebte, wie mir das Licht während der Vigil immer weiter entgegenkam, das war wunderbar.»

Seit die Mehrheit der Schwestern des 1135 gegründeten Klosters über 75 Jahre alt ist und einige von ihnen bereits am Rollator gehen, hat die Gemeinschaft entschieden, die Vigil nicht mehr gemeinsam zu beten. Die Nonnen beten in ihren ei­genen Zimmern und nicht wie alle anderen Tagzeitengebete in der Klos­terkirche. Die Benediktsregel, die seit dem Mittelalter Grundlage dieser klösterlichen Gemeinschaft ist, lasse solche Anpassungen zu, sagt Priorin Irene Gassmann.

Wenn die Stadt erwacht

Um 6:45 Uhr erwacht auch in Zürich-Wiedikon am Fuss des Uetlibergs die Stadt. Bei Barkat Cash & Carry rumpelt ein Lieferwagen auf das Trottoir, vor dem Kiosk Schloss sitzt ein Mann bei Kaffee, Zeitung und Zigarette. Geräusche und Gerüche finden ihren Weg auch ins Bethaus Wiedikon, wo das Stadt­kloster Zürich zu den Tagzeitengebeten einlädt. Die Tür zum schlichten Kirchenraum steht offen. Alle sind willkommen.

Die fünf Bewohnerinnen und Bewohner der Wohngemeinschaft des Stadtklosters trudeln ein: Janique Behman (44), Karin Reinmüller (55), Werner Stahel (75), Silvia Berchtold (33) und Elmar Erger (48). Auch drei Gäste nehmen auf den Holzstühlen Platz, die in einem Halbkreis angeordnet sind. In der Mitte steht eine Schale mit Sand, in die alle eine Kerze stecken. Um 7 Uhr wird die Tür ge­schlossen. Stille. Es ist Zeit für die Laudes, das Morgenlob.

Im Kloster Fahr ist die Laudes bereits das zweite Gebet des Tages. Die Schwestern haben zuvor schweigend ein einfaches Frühstück zu sich genommen. Jetzt versammeln sich die 18 Nonnen in der Kirche. Sie nehmen auf den Stühlen vor dem Hochaltar Platz, es gibt Stammplätze im Chor der Kirche.

Schlichte Schleier vor barocken Gemälden

Flüsternd werden auch die Gäste der Gemeinschaft freundlich auf ihre Plätze gewiesen, die richtige Seite im Gebetsliturgiebuch wird ihnen aufgeschlagen. Vom Kirchenraum aus sieht man durch ein gusseisernes Gitter die Hinterköpfe der Frauen mit ihren schwarzen, schlich­ten Schleiern. Der Kontrast zu den ba­rocken Wandmalereien könnte nicht grösser sein.

Die Gebete bilden auch im Stadtkloster die Basis des klösterlichen Lebens. Tagsüber entschwinden die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Alltag: Janique sammelt für eine Nichtregierungsorganisation fi­nanzielle Mittel, Silvia tritt als Flötistin auf, der ehemalige Manager Elmar arbeitet als Barista, die katholische Theologin Karin und der pensionierte Werner unterstützen Asylsuchende.

Ich bin nicht so der schweig­sa­me Typ, und wir sind kein Ort der Stille.
Karin Reinmüller, Bewohnerin Stadtkloster Zürich

Manchmal kommt die WG am Abend wieder zusammen zu einer Vesper. Sie findet jeweils im Bethaus oder im ehemaligen Pfarrhaus Bühl statt, wo sie vor einem Jahr eingezogen ist. Die Gebete im Stadtkloster orientieren sich an der benedikti­nischen Tagzeitenliturgie. Psalmen wer­­den gesungen.

Im Stadtkloster wird aber auch meditiert, oder die Bewohnerinnen und Bewohnter formulieren nach reformierter Tradition selber Fürbitten. «Herr, bitte mach, dass es heu­te in der City friedlich bleibt», betet jemand. Am Abend ist eine De­monstration angesagt.

Scheiternde Schweigversuche

Nun ist Frühstückszeit. Auch die Mahlzeiten werden in der klöster­lichen WG wenn möglich gemeinsam eingenommen. «Allerdings nicht schweigend wie in manchen Klöstern», sagt Karin Reinmüller, die den langen Holztisch deckt. «Wir versuchen es zwar immer wieder, aber es sind halt häufig Gäste da.» Geläch­ter aus der Küche, und jemand ruft: «Gute Ausrede, Karin!» Karin nickt und lacht. «Ja, ich bin nicht so der schweigsame Typ.»

Im Kloster Fahr steht zwischen den Tagzeitgebeten, dem «ora», das «labora»: Die Benediktinerinnen arbeiten. Einige betätigen sich im Garten. Schwester Ruth ist an der Pforte, beantwortet Fragen der Besucher, Schwester Andrea macht die Gottesdienstpläne, und Schwester Matthäa arbeitet in der hauseigenen Paramenten-Werk­statt. Dort werden liturgische Gewänder auf Bestellung angefertigt. Seit Jahrhunderten eine typische Ar­beit in Frauenklöstern.

Was die Reformatoren an den Klöstern störte (Text öffnen durch Klicken)

In den Gebieten, in denen sich die Reformation durchsetzte, wurden viele Klöster aufgelöst und deren Besitz­tümer verstaatlicht. Die Reformatoren wandten sich gegen die Idee, dass das Leben als Mönch oder Nonne eine höhere Stufe des christlichen Le­bens sei.

Zudem fanden sie in der Bibel keine Hinweise auf das enthaltsame Leben in der Ordensgemeinschaft. Hin­zu kam, dass die Klöster Land be­sas­sen und von den Abgaben der darauf arbeitenden Bauern lebten.

Der deutsche Reformator Martin Luther (1483–1546), der als Augustinermönch ins Kloster eingetreten war, lehnte die Orden zwar nicht völlig ab. Die Vorstellung, dass das Kloster­leben eine besonders gottgefällige Existenz sei, kontrastierte aber mit sei­ner Gnadenlehre: Er verneinte vehement, dass der Mensch durch fromme Werke zum Heil gelangen könne.

Machtpolitik und Sittenzerfall

Der Zürcher Reformator Huldrych Zwing­li (1484–1531), der seine Karriere im Kloster Einsiedeln als Leutpriester begonnen hatte, bezeichnete Klöster als «Gewissensgefängnisse».

In seiner Schrift «Wer Ursache zum Aufruhr gibt» von 1524 kritisiert er die Vermischung kirchlicher und politischer Interessen. Der Papst überlasse dem Adel den Zugriff auf die Klöster und Dom­­stifte, um seine Macht abzusichern. «Denn Rom hat stets gewusst, dass sein Bestehen und seine Insti­tutionen keine Grundlage haben im göttlichen Wort.»

Also könnten die Fürsten ihre Söhne als Abt oder Bi­schof installieren und sich den Zugriff auf «die grossen sicheren Geldquellen» sichern, im Gegenzug festigten sie den Einfluss des Papstes. Die wichtigste Aufgabe der Klöster, «dass man lerne, mit dem göttlichen Wort umzugehen, um die Welt recht lehren zu können», ge­rate durch solche Deals zur Absicherung der Macht in Vergessenheit, was zum Sittenzerfall führe: «Im einen Kloster frassen sie, im anderen hurten sie ohne Scham.»

Renaissance im Pietismus

Wiederbelebt wurde der Klostergedanke in reformierten Gegenden im Pie­tismus. Die Frömmigkeitsbewegung ge­wann im 17. Jahrhundert an Einfluss und positionierte sich in Abgrenzung zur protestantischen Staatskirche. Pietistisch geprägt waren viele Diakonissenhäuser. Die Frauen, die in solche klosterähnliche Gemeinschaften eintraten, betrieben oft Krankenhäuser und Pensionen. fmr

  

Heute ist Schwester Matthäa damit beschäftigt, die Wolle auf Garnspindeln zu ziehen. Wie früher, nur eben mit hochmodernen Geräten. Von ihr sind auch viele der Entwürfe für die bunten Stolen. Diakone, Priester und Seelsorgende sind die Abnehmer.

Seit einigen Jahren bestellen auch zunehmend reformier­te Pfarrinnen und Pfarrer ihre Talare im Klos­ter. «Die Reformierten sind ein wachsender Markt», sagt Zoe Wüst. Sie ist gelernte Handweberin und Schneiderin und leitet die Werkstatt inzwischen. «Im Miteinander von Benediktinerinnen und Fachfrauen stellen wir hochwertige Berufsbekleidung her», erklärt sie. «Wir lernen von­ei­nander.»

Eingespielte Wohngemeinschaft

Die Wohngemeinschaft im Stadtkloster ist ein eingespieltes Team. Innert kürzester Zeit ist der Frühstückstisch gedeckt. Das Brot hat Ka­rin gebacken, auch die Konfitüren sind selbst gemacht. Die Runde ist lebhaft, es wird diskutiert, philosophiert und organisiert.

Aufgetischt und gekocht wird in der WG vegan. So können problemlos alle mitessen. Wer Eier, Käse, Fisch oder Fleisch mag, darf seine Mahlzeiten selber ergänzen. «Wir an­­erkennen, dass wir mit allen Geschöpfen auf dieser Erde verbunden sind, und setzen uns ein für eine Gesellschaft, die allem Geschaffenen Sor­ge trägt.» So steht es im Bekennt­nis des Stadtklosters.

Der Verein Stadtkloster ist auch politisch aktiv. Er half, die «Schöpfungsinitiative» zu lancieren, die ver­langt, dass die Zürcher Landeskirche die Treibhausgasemissionen bis 2035 auf netto null senkt. Manche Mitglieder marschieren auch an Kli­mademos mit oder halten Mahnwachen vor dem Schlachthof.

Im Garten des Klosters Fahr pflanzt Schwes­ter Beatrice Setzlinge für den Winterblumenkohl. Das muss im Hochsommer passieren, damit die Gemeinschaft im Winter das Gemü­se essen kann. Die Kräuter für den Tee, der im eigenen Klosterladen verkauft wird, hegt Schwester Veronika. In einem anderen Garten wachsen alte Heilpflanzen wie Cosmea oder Melde.

Das Lob der Schöpfung

Der Garten ist wie ein Lob der Schöp­fung konzipiert und lädt die Besuchenden zur Meditation und zu Achtsamkeitsübungen ein. Anstoss dazu bekamen die Benediktine­rin­nen über die Umweltenzyklika «Lau­­dato si’», die Papst Franziskus publiziert hat. Für die Ordensfrauen ist die Bewahrung der Schöpfung ein zentrales Anliegen.

Im Stadtkloster sind die Gründe unterschiedlich, weshalb die Bewohnerinnen und Bewohner sich für das Leben hier ent­schieden haben. Werner Stahel ist pensionierter Mathematiker und zog vor nun anderthalb Jahren ins Stadtkloster. Nach dem Tod seiner Frau lebte der Grossvater von sechs Enkeln allein «in einem viel zu grossen Haus». Er überliess es der Tochter und verringerte seinen Besitz radikal. Mittlerweile reichen ihm ein Zimmer und das geteilte Bad.

Orte der Gelehrsamkeit und Gastfreundschaft (Text öffnen durch Klicken)

In der Schweiz gibt es 166 Klöster, in Betrieb sind heute aber nur noch deren 44. 26 davon sind Frauen- und 18 Männerklöster. Das älteste Kloster ist Saint-Maurice, es gilt nicht nur als das erste auf Schweizer Gebiet, sondern auch als das älteste ohne Unterbruch existierende Kloster des Abendlandes. Im Jahr 515 im Frühmittelalter gegründet, geht es auf ein christliches Heiligtum zurück, das noch in der Römerzeit über den Gebeinen des Märtyrers Mauritius und seiner Gefährten errichtet worden war.

Das Kloster im Wallis entwickelte sich schnell zu einem bedeutenden Ort, nicht zuletzt wegen der Praxis des ununterbrochenen Lobgesangs, für die es viele Mönche brauchte, um die Ablö­sung zu gewährleisten. Saint-Maurice hatte diese Liturgie von Byzanz übernommen und verbreitete sie vom Wallis aus in ganz Westeuropa.

Wallfahrten zu Maria

Die Klöster waren im Mittelalter Stützpunkte der geistlichen Macht sowie Orte der Gelehrsamkeit, der Gastfreund­schaft und der Innovation. Grossen kulturellen Einfluss hatte im Mittelalter das Kloster St. Gallen, dessen Gründung auf irische Wandermönche zu­rück­geht. Die Klosterbibliothek be­herbergt eine der weltweit grössten Sammlungen von aus Irland stam­menden Handschriften.

Das Kloster Einsiedeln gilt als der bedeutendste Marienwallfahrtsort in der Schweiz, dahinter folgt das Kloster Mariastein. Beides sind Klöster des Benediktinerordens. In Mariastein findet, als Besonderheit, immer im August die Tamilenwallfahrt statt. An diesem religiösen Fest wird die Mutter von Matha gefeiert, deren Heiligtum sich auf Sri Lanka befindet.

Die neuen, urbanen Klöster

Eine neue Form des Klosterlebens erproben Stadtklöster. Sie orientieren sich am New Monasticism. Eines der bekanntesten Stadtklöster ist das Kloster Segen in Berlin, zu den jüngsten zählt das Kloster Frieden in Bern. In Zürich wurde der Verein 2015 gegründet, die erste Stadtkloster-Wohngemeinschaft startete 2016. Die WG ist ein sichtbarer, aber bei Weitem nicht der einzige Teil des Stadtklos­ters. Mitglieder des Vereins tragen die Arbeit des Stadt­klosters mit. Im Win­ter bietet es etwa mit der Winterstube einen Ort für Menschen am Rand der Gesellschaft. Der Verein wird von der reformierten Kirchgemeinde Zürich unterstützt. heb/mm

  

Karin Reinmüller sagt von sich selbst, sie sei «eine verhinderte Ordensfrau». Die Physikerin schloss mit über 40 Jahren noch ein katholisches Theologiestudium ab. Als einzige der fünf WG-Bewohnenden betont sie von sich aus die Unterschiede zwischen einem «richtigen Kloster» und dem Stadtkloster. Sie wäre bereit gewesen, den Schritt in ein traditionelles Kloster zu gehen, wurde jedoch abgelehnt.

Obwohl das Stadtkloster nur ihre zwei­te Wahl ist, sei sie sehr gern Teil dieser Gemeinschaft. Sie würde sich aber ein stärkeres Bekenntnis zu die­ser Lebensform wünschen. «Der Ein­tritt in ein richtiges Kloster ist eine Entscheidung fürs Leben», sagt Karin. Im Stadtkloster hingegen verpflichtet man sich nur von Jahr zu Jahr. Auch materiell gibt es Unterschiede: Während im Kloster Güter­gemeinschaft gilt, hat im Stadtkloster jedes Mitglied sein eigenes Konto und zahlt je nach Grösse seines Zimmers mehr oder weniger Miete an den Stadtkloster-Verein.

Bereichernd und anspruchsvoll

Dennoch verneint Janique Behman die Frage, ob das urbane Kloster nur eine religiös angehauchte Wohngemeinschaft sei: «Zu einer ge­­wissen Verbindlichkeit muss man be­reit sein, wenn man hier leben will.» Dazu gehört, an fünf Tagen pro Wo­che die Gebetszeiten einzuhalten und diakonische Aufgaben zu übernehmen.

Das Zusammenleben verschiedener Generationen und Kulturen sei bereichernd, aber oft auch ziemlich anspruchsvoll, findet Janique. «Das stetige Kom­­men und Gehen, die Geräuschkulisse im alten Haus passen nicht für alle.» Die WG nimmt regel­mässig Menschen in Not auf.

Für mich ist hier im Kloster eine Welt aufgegangen. Ich durfte mich entfalten.
Irene Gassmann, Priorin Kloster Fahr

Auch das Kloster Fahr hat Platz für Gäste. «Der strukturierte Alltag hier schenkt mir Entlastung», sagt eine Frau, die ein paar Wochen hier verbringt. Hin und wieder kommen Maturanden ins Kloster, um ihre Arbeiten zu schreiben.

Dann gibt es Angebote wie im «Im Rhythmus der Benediktinerinnen». Sie laden ein, für zwei Tage in die Stille und die Spiritualität des Klosters einzutauchen. An Frauen, die sich für immer auf die Klostergemeinschaft einlassen wollen, mangelt es jedoch.

Priorin Irene Gassmann selbst ist im Alter von 21 Jahren ins Kloster Fahr eingetreten. Damals besuchte sie die angegliederte Bäuerinnenschule und kam so mit den Benediktinerinnen in Kontakt. «Seit jeher hatte ich die Sehnsucht, Gott nah zu sein und zu beten.» Bis heute habe sie ihren Entschluss noch keinen Tag bereut. Im Gegenteil. «Für mich ist hier eine Welt aufgegangen, und ich durf­te mich entfalten.»

Viel interne Care-Arbeit

Mit 58 Jahren zählt sie heute zu den jüngeren Schwestern. Und doch feiert sie in diesem Jahr schon ihr 20-jähriges Jubiläum als Priorin. Sie ist froh über ihre Aufgabe, aber die Führung der alternden Gemeinschaft und des Klos­ters bedeutet Verantwortung. «Wir leisten viel interne Care-Arbeit», sagt sie. Sie versteht es als ihre Aufgabe, die Mitschwestern im Alter geistig und körperlich gut zu versorgen.

Im Lauf ihrer Amtszeit musste Ire­ne Gass­mann einige weitreichen­de Entscheidungen treffen. So wurde unter ihrer Ägide die Bäuerin­nen­schule geschlossen und die einst klos­­tereigenen Betriebe verpachtet. «Ich habe gespürt, dass wir das nicht mehr schultern können», sagt sie. Sie wisse, dass etwas Gutes für das Kloster komme, wenn das Alte gehen müsse. «Fahr ist ein Ort, wo Frau­en leben, die das Leben lieben», umschreibt sie ihre Vision. Sie ist sich sicher, dass die trägt.

Im Stadtkloster wird das Mittagessen an diesem Tag im Garten serviert. Janique hat aus den Vorräten ein Kichererbsen-Curry gezaubert. Flötistin Silvia Berchtold hat den ganzen Vormittag geübt und schüttelt ihre Hände aus. Mit 33 Jahren ist sie zurzeit das jüngste WG-Mitglied. Silvia stammt aus Bayern und ist «katholisch mit allem Drum und Dran» aufgewachsen. Sie spürte den Wunsch, in einer spirituellen Gemeinschaft zu leben. «Mir gefällt im Stadtkloster die Offenheit auch für neue Formen des Gebets.»

Das gemeinsame Mittagessen im Kloster Fahr wiederum ist ein ausgeklügeltes Ritual. Im lang gezogenen Esssaal stehen schwere Holztische in einer Reihe, an denen jeweils zwei Schwestern nebeneinandersitzen. Wäh­rend des ganzen Essens wird nicht mit­einander gesprochen, so ist die Regel, an die sich auch alle Gäste zu halten haben.

Die Ernte bestimmt das Essen

Wenn die Priorin mit einer kleinen Glocke läutet, darf sich die Gemeinschaft einen Nachschlag holen. Alles spielt sich schön geordnet ab: «Damit es kein Geläuf gibt», wie Schwester Martina sagt, die die Gäste des Klosters betreut.

Während des Essens liest eine Schwester manchmal geistliche, oft auch weltliche Literatur vor. Anhand der Ernte entscheidet die Köchin, was sie zubereitet. Viele Zutaten kommen aus den Klostergärten oder vom verpachteten Viehbetrieb. Dazu gibt es das Brot, das eine der Mitschwestern gebacken hat.

Ich bin sicher, dass es diese Lebensform auch in Zukunft brauchen wird.
Irene Gassmann, Priorin Kloster Fahr

Eine andere Schwes­ter schneidet den Schnittlauch. Der wöchentliche Speiseplan sieht immer drei fleischhaltige und vier vegetarische Gerichte vor. Am Abend werden oft Reste gegessen. Im Grun­de genommen seien Klöster seit je gute Recycling-Anlagen gewesen, sagt die Priorin. «Wir versuchen, alles, was übrig bleibt, wiederzu­ver­­werten.»

Nach der Mittagspause folgen Arbeit, Nachmittagskaffee, wieder Ar­beit, dann die Vesper, Nachtessen und zuletzt die Erholung. Während der gemeinsamen halben Stunde sit­zen die Schwestern im Garten. Der Tag neigt sich dem Ende zu. Es ist immer noch warm.

Katze und Schokolade

Die Sommerblumen leuchten, die zwei Hauskatzen schmiegen sich an die Beine ihrer Betreuerin Schwes­ter Raimunda. Die Schwestern und die Besucherinnen kommen auf den japanischen Käfer zu sprechen, der sich nun auch in der Schweiz breitmachen will.

Auf die Frage, ob den Schwes­tern denn hier im Klos­ter Fahr irgendetwas fehle, schütteln alle Frauen nur den Kopf. Sie hätten genug, lautet ihre Antwort. «Auch Schoggi bekommen wir, keine Sorge, und die teilen wir dann», meint Schwester Martina und schmunzelt. Und nun folgt die Komplet in der Klosterkirche, das letzte Gebet des Tages.

Priorin adelt Stadtkloster

An einem Nachmittag im Hochsommer berühren sich die beiden Klosterwelten. Silvia Berchtold und Wer­ner Stahel vom Zürcher Stadtkloster besuchen auf Initiative von «reformiert.» das Kloster Fahr. Begleitet werden die beiden von Anita Flückiger, die als Aktivmitglied im Verein tätig ist. Bevor sie ihre Gäste begrüsst, zieht sich Priorin Irene Gass­mann noch kurz um: Ein hel­les Ordensgewand und «praktischere Schuhe» seien nötig gewesen, erklärt sie lachend, als sie aus der Pforte des Klosters tritt.

Rasch entwickelt sich ein lebhafter Austausch über den Alltag in den beiden Klöstern. Natürlich gebe es grosse Unterschiede zwischen dem Stadtkloster und dem Kloster Fahr, da sind sich alle einig. Aber: «Vielleicht sollten wir nicht werten, was denn nun ein richtiges Kloster ist», sagt Priorin Irene Gassmann. Aus ihrer Sicht stehen viele Klöster an einem Scheideweg. «Ich bin sicher, dass es diese Lebensform auch in Zukunft brauchen wird, aber es ist wichtig, dass neue Formen des spirituellen Wegs ausprobiert werden.» Hier leiste das Stadtkloster Zürich ungemein wichtige Arbeit.