Schwerpunkt 24. September 2025, von Mechthild Mus

Wenn die Hoffnung viral geht

Medienkonsum

Mechthild Mus (21) war kurz davor, ihr Handy wegzuschmeissen, als sie eine Nachricht zum Lächeln brachte. Die sozialen Medien sind für sie Ärgernis und Notwendigkeit zugleich.

Am Abend habe ich eine halbe Stunde Kommentare gelöscht. Zwei Tage zuvor hatten Lernende eine Petition für acht Wochen Ferien in der Lehre eingereicht. Im strömenden Regen hielt auch Lea, eine junggrüne Lernende, eine Rede. Ich filmte sie. Das Video hat auf Instagram über 35 000 Views, auf Facebook knapp 200 Kommentare: wie «faul, dumm und hässlich Lea und diese Grünen!!!1!!» doch seien. Beim Löschen frage ich mich, ob diese Leute das Lea auch ins Gesicht gesagt hätten. 

Die Kontrolle der Kommentare war Teil meines Nebenjobs bei den Jungen Grünen Schweiz. Aber Social Media sind nicht nur mein Nebenjob. Auch mir selbst folgen auf Instagram über 1300 Konten. Die App hat grossen Einfluss auf mein Leben, meine Beziehungen, Informationsquellen und meine Selbstwahrnehmung. 

Das grosse Durcheinander 

Das zu schreiben, ist mir unangenehm. Ich überlege, den Satz wieder zu löschen. Ich lasse ihn stehen. Social Media haben ja auch gute Seiten: Im letzten Winter ging die Rede von Marianne Edgar Budde bei Trumps Einsetzung viral und machte Millionen Menschen Hoffnung. Im Mai war Budde zum Evangelischen Kirchentag in Hannover eingeladen, wo sie mich und Tausende andere tief beeindruckte und inspirierte. 

In meinem Feed verschwinden die News zwischen Urlaubsfotos von Freundinnen und Freunden, Tweets von Trump, lustigen Katzen und hungernden Kinder aus Gaza. Zeit und Skala verwischen, der Content unterliegt allein den Algorithmen: Aufmerksamkeit, Klicks, Reichweite.

Ich bin unglaublich frustriert von alldem. Und hänge trotzdem selbst in den Algorithmen fest.

Wer Erfolg haben will, emotionalisiert, verkürzt, spitzt zu. Ein Clip muss nach drei Sekunden überzeugen. Und: Wenn die Nutzerinnen und Nutzer lange hängen bleiben, kann man ihre Daten sammeln, sie mit den passenden Inhalten noch länger fesseln, personalisierte Werbung anbieten und sehr viel Geld verdienen. 

Ich bin unglaublich frustriert von alldem. Und hänge trotzdem selbst in den Algorithmen fest. Ich weiss, dass es bessere, unkommerzielle, soziale Netzwerke gibt, aber ich bin der Macht der grossen Konzerne ausgeliefert. Die beste Plattform ist die, auf der alle sind. 

Altes Sofa, neue Freunde 

Auf Social Media kann ich mit Kolleginnen und Kollegen in Kontakt bleiben, bekomme mit, was läuft. Ich finde alte und neue Bekannte, Helferinnen und Helfer für den Umzug, ein gebrauchtes Sofa. Diesen Sommer ver- brachte ich die meiste Zeit mit Lehrbüchern am Schreibtisch. Bei den ganzen Urlaubsfotos auf Instagram kam bei mir FOMO auf: «fear of missing out». 

Letzte Woche lud ich eine Story hoch mit einem Foto von meinem Schreibtisch und ein paar Sätzen dazu. Viele antworteten mir, es gehe ihnen ähnlich. Am Tag darauf sass ich mit einer Freundin zusammen in der Bibliothek.

Da ploppt plötzlich eine Nachricht auf, die mich zum Lächeln bringt.

Ständig vergleiche ich mich mit anderen, viel zu oft vergesse ich, dass ich immer nur einen bewusst gewählten Ausschnitt und sorgfältig inszenierte Bilder aus einem Leben sehe. Auch jeder Versuch, das zu durchbrechen, «Realität» abzubilden, bleibt eigentlich eine Selbstdarstellung. Diese Inszenierung des eigenen Lebens wird zum Statussymbol, weil alle mehr oder weniger subtil versuchen zu zeigen, dass sie auf angesagten Konzerten sind, viele Freundinnen und Freunde haben und beeindruckende Ferien machen. 

Inszenierung des Glücks 

Ich merke selbst, dass ich lange nichts poste, wenn es mir schlecht geht, und Druck verspüre, einen ästhetischen Alltag und ein aufregendes Leben darzustellen und mich zu relevanten Themen zu äussern. Ich spüre auch, dass mir die Vergleiche nicht guttun, meine Aufmerksamkeitsspanne unter der Schnelligkeit leidet und mich Social Media oft mit einem ohnmächtigen Gefühl zurücklassen. Dann rede ich mir ein, dass ich nicht einfach wegkann, weil es halt mein Nebenjob ist. Vielleicht ist das auch eine Ausrede, um mir meine eigene Abhängigkeit nicht eingestehen zu müssen. 

Genervt lösche ich den letzten hämischen Kommentar auf Facebook und bin kurz davor, mein Handy mit Schwung aufs Sofa zu werfen. Da ploppt plötzlich eine Nachricht auf, die mich zum Lächeln bringt.