Schwerpunkt 24. September 2025, von Marius Schären aufgezeichnet

Algorithmen vermitteln Beziehungen

Dating

Ein Wisch reicht für ein Treffen. Das habe viele Vorteile, sagt Kathrin Meier, die eigentlich anders heisst.

«Vor 15 Jahren wurde ich Witwe. Ich war damals noch keine 40. Ich machte meine erste Erfahrung mit Datingportalen. Mit dem zweiten Mann, den ich so kennenlernte, war ich zwölf Jahre lang zusammen. 

Nach der Trennung vor bald drei Jahren meldete ich mich wieder an. Die Datingwelt sah nun ganz anders aus: viel mehr Apps, viel grössere Auswahl, schnelleres Vorgehen mit dem Wischen. Gleich aus dem ersten Treffen wurde bei mir eine dreimonatige Bekanntschaft. Aus dem zweiten entstand eine, die ich immer noch pflege. Und aus einer weiteren Begegnung entwickelte sich eine beständige Liebesbeziehung. 

Mächtige ökonomische Modelle spielen mit unseren Sehnsüchten.
Kathrin Meier, Name geändert

Spannend finde ich, dass die unterschiedlichen Apps zu verschiedenen Arten von Beziehungen führen können. Es geht nicht einfach entweder um eine monogame Liebesbeziehung oder nichts.

Auch eine meiner besten Freundinnen habe ich via App kennengelernt. Menschen für Spielabende und Leserunden habe ich so gefunden. Manchmal treffe ich auch Leute, mit denen es einfach um einen Erfahrungsaustausch geht. Aus meinem Leben sind die Datingapps gar nicht mehr wegzudenken.

Liebe bleibt Liebe

Die Apps bewirken, dass die Beteiligten in den ersten Begegnungen viel direkter sein können. Obwohl ich mich rasch real treffe und nicht lange Nachrichten austausche: Ich weiss immer bereits mehr über das Gegenüber, als es etwa bei einer Bekanntschaft ist, die ich zufällig an einer Bar kennenlerne. 

Mit Blick auf die Beziehungen selbst sehe ich keine Unterschiede. Es spielt keine Rolle, ob sie mit einer rein realen Begegnung oder mit einem digitalen Kontakt angefangen hat. Nach meiner Erfahrung beurteilt aber die Gesellschaft Freundschaften oder Liebesbeziehungen, die über Apps begonnen haben, eher als minderwertig. Solche Beziehungen seien flüchtiger, lautet ein Vorurteil.

Problem mit dem Selbstwert

Eine Gefahr sehe ich vor allem im möglichen Suchtpotenzial. Zumindest als Frau – es gibt sehr viel mehr Männerprofile – bekommt man viele schöne Nachrichten und das Gefühl, begehrt zu sein. Zugleich sinkt der Selbstwert schnell, wenn das Interesse nachlässt.

Mich stört es, welche Macht Algorithmen über die Psychologie haben.
Kathrin Meier, Name geändert

Trotz aller Vorteile stört es mich daher, welche Macht Algorithmen über die Psychologie haben. Dahinter stecken mächtige wirtschaftliche Modelle, die mit den Sehnsüchten der Menschen spielen. Das ist kein individuelles Problem, es müsste daher gesamtgesellschaftlich diskutiert werden. Diese Frage ist viel bedeutsamer, als wie jemand seine Liebesmenschen sucht und findet.

Übrigens lerne ich auch im realen Leben Menschen kennen, das ist mir wichtig. Datingapps einzusetzen, schliesst das überhaupt nicht aus.»