Gesellschaft 14. Juni 2024, von Hans Herrmann

Kleine Wohlfühloase für Kinder und Erwachsene vor der Kirche

Gesellschaft

Vor so mancher Kirche landauf, landab steht ein brachliegendes Land- oder Rasenstück. Die Kirchgemeinde Lyss macht vor, wie daraus ein lebendiger Treffpunkt entstehen kann.

Zur reformierten Kirche Lyss gehört auch ein grüner Vorplatz. Der Rasen ist bestanden mit einer Linde und einem Ahorn, weiter mit Sträuchern, einem kleinen Hügel, einer Korbschaukel, einer Rutsche, Balken und Holzklötzen zum Balancieren sowie einem Sandplatz mit Wasserpumpe. Auch ein achteckiger Tisch mit Stühlen ist vorhanden.

Es handelt sich hier um ein kleines, aber einladendes und anregendes Refugium vor der Kirche, wo Kinder spielen und die Natur entdecken können – und wo sich die Eltern und Grosseltern bei einer Tasse Kaffee unter freiem Himmel gerne an den Tisch setzen und miteinander ins Gespräch kommen.

An diesem schönen Morgen

Jetzt, an diesem sonnigen, nicht zu warmen Juni-Morgen um neun Uhr, ist hier noch nichts los. Doch bereits eine Viertelstunde später taucht eine junge Mutter mit ihrem vielleicht dreijährigen Buben auf, der sofort auf einen Holzklotz hüpft, während sich die Mutter am Tisch mit einer mitgebrachten Zwischenverpflegung einrichtet. Bald darauf kommt die zweite, dann die dritte Mutter mit ihren Kindern, und schon ist der Platz belebt mit den Kleinen, die den schönen Morgen und das Herumschweifen geniessen.

Gross ist der Platz nicht, aber beispielhaft angelegt, mit Bedacht und unter Einbezug zeitgemässer Gestaltungsprinzpien. Entstanden ist die Idee vor wenigen Jahren im Rahmen einer Retraite, zu welcher der Lysser Kirchgemeinderat eingeladen hatte, um zu diskutieren, wie sich das Grünareal bei der Kirche neu gestalten liesse.

«Dass wir für die Kinder einen Sandkasten wollten, wussten wir bereits», sagt Pfarrer Guido Jutzi, der unter anderem auch zuständig für die Spielgruppe ist. Im Lauf der Retraite entstand dann der Wunsch, nicht einfach einen Normsandkasten und ein paar ebenfalls normierte Spielgeräte hinzustellen, sondern etwas Grösseres und ganzheitlich Konzipiertes für Vorschulkinder ins Auge zu fassen und dafür auch Geld in die Hand zu nehmen. 95’500 Franken kostete das Projekt, davon wurden insgesamt 25'500 Franken vom Lotteriefonds, der Landeskirche und den Kiwanis finanziert.

Wir hatten den Wunsch, nicht einfach einen Normsandkasten hinzustellen, sondern etwas ganzheitlich Konzipiertes aufzubauen.
Pfarrer Guido Jutzi

Als Projektleiter fungierte Dres Hubacher von SpielRaum mit Sitz in Bern. Das Planungsbüro hat sich auf die partizipative Planung von naturnahen Freiräumen spezialisiert, die zum Spielen, Bewegen und Begegnen anregen, in Siedlungen, Schwimmbädern, öffentlichen Parkanlagen, auf Schularealen, Erlebniswegen oder Kirchengelände.

Ganzheitliches Vorgehen

Konventionelle Spielplätze in öffentlichen Anlagen oder Neusiedlungen sind oft schematisch gestaltet: Auf einer topfebenen, sterilen Rasenfläche stehen einige Spielgeräte, darunter je eine Fallschutzmatte aus Kunststoff, und wenn es hoch kommt, liegt auf dem Rasen noch eine Betonröhre zum Drunterschlüpfen. SpielRaum verfolgt einen anderen, interdisziplinären Ansatz (s. Kasten). «Nichts gegen Spielgeräte, die gehören dazu und sind wertvoll, auch bei unseren Projekten», betont Dres Hubacher. Auf einem naturnahen, begegnungs- und kinderfreundlichen Platz hingegen seien sie Teil eines durchdachten Konzepts und eingebettet in eine lebendige und anregende Umgebung.

Spielgeräte sollen in eine lebendige und anregende Umgebung eingebettet sein.
Dres Hubacher, Spielplatzexperte

Wie in Lyss, wo das Gelände leicht modelliert ist und die Geräte von Bäumen beschattet und Gesträuch flankiert sind – und vielfältige Möglichkeiten die Fantasie und Entdeckerlust der Kinder anregen. Im Hochsommer können die Kinder sogar Beeren naschen, denn zum Pflanzenbestand gehören auch einige Beerensträucher.

Mitwirkung, Natur, Vielfalt

Hubacher nennt drei Prinzipien, die bei der Planung und Durchführung wichtig seien, damit ein neuer Platz seine einladende Wirkung möglichst gut entfaltet: Mitwirkung, Natur und Vielfalt. Die Mitwirkung in Lyss umfasste nicht nur eine Vernehmlassung, sondern auch tatkräftige Einsätze von Freiwilligen auf der Baustelle, als Ergänzung zur Arbeit der Bauprofis.

Das Prinzip der Vielfalt drückt sich in fünf Bereichen aus: Bewegung, Gestalten, Verstecken, Erleben und Begegnung – was auf dem Platz bei der Kirche Lyss alles berücksichtigt ist. Natürlich müssen solche Oasen auch die Sicherheitsstandards erfüllen und gut zu pflegen sein. «Rasenmäherfreundlich sind sie nicht, pflegefreundlich aber schon», erklärt Hubacher. «Man kann ja auch Grasinseln stehen lassen oder an unzugänglichen Stellen mit dem Fadenmäher arbeiten. Wichtig ist aber in jedem Fall, dass die Anlagen keinen Müll und keine Scherben aufweisen.»

Nun tritt zufällig auch noch der Sigrist Bernhard Mäder an den Tisch. Ja, der Platz sei gut zu pflegen, bestätigt er. Und rege genutzt werde er auch, hier sei an schönen Tagen immer etwas los. Die Anwesenheit der Mütter mit ihren lebhaft spielenden Kindern gibt ihm recht – und ebenso die vierte Mutter, die nun auch gerade mit ihrem Kind auftaucht.

«Treffpunkt Nr. 1»

Auch Pfarrer Jutzi hat seine Freude daran, wie der Platz genutzt wird. «Ich würde sagen, es ist in Lyss unterdessen der Spielplatz Nr. 1 für Kinder im Vorschulalter, auch Leute aus den anderen Quartieren kommen hierher», sagt er. Andere Kirchgemeinden hätten sich auch schon für das Konzept interessiert und seien in Lyss zur Besichtigung vorbeigekommen. Im Übrigen gehe es auf dem Areal weiter – auf einem Stück Land hinter der Kirche haben nun auch die Teenies einen Treffpunkt bekommen, mit der Möglichkeit, eigene Gestaltungswünsche anzubringen. So bleibt die Kirche nahe bei den Menschen, indem sie Raum für Gemeinschaft und Begegnung schafft.

Nutzende werden einbezogen

SpielRaum ist ein Planungsbüro, welches sich auf die partizipative Gestaltung von naturnahen Spiel- und Begegnungsräumen spezialisiert hat. «Dabei beziehen wir die Nutzenden aktiv in den Planungsprozess mit ein und geben ganz bewusst auch den Kindern ihre Stimme», schreiben die Macherinnen und Macher auf ihrer Website. «So schaffen wir vielseitige und gesundheitsfördernde Freiräume für alle Generationen in der gesamten Deutschschweiz.» Wichtig ist dabei der interdisziplinäre Ansatz: Die Mitarbeitenden kommen aus verschiedenen Berufsrichtungen vom Bauwesen und der Gartengestaltung bis hin zur Sozialarbeit.

www.spielraum.ch