Politik 03. Juni 2024, von Cornelia Krause

«Menschenrechte sind nicht verhandelbar»

Entwicklungszusammenarbeit

Seit drei Monaten leitet Karolina Frischkopf das Hilfswerk  Heks. Die einstige Diplomatin über Einsätze in Kriegsgebieten und Abschottungstendenzen in der Schweiz. 

Sie waren zehn Jahre als Diplomatin tätig, wechselten dann in den humanitären Bereich. Warum?
Karolina Frischkopf: Bereits in meiner Jugend engagierte ich mich in Organisationen, die sich gegen Rassismus, für Gleichstellung oder Jugendpartizipation einsetzten. Meine erste Stelle war bei Kinderschutz Schweiz. In die Diplomatie wechselte ich, weil ich verstehen wollte, wie komplexe Institutionen von innen funktionieren, wie Entscheide beeinflusst werden können. Auch ehrenamtlich blieb ich aktiv. Nach zehn Jahren wollte ich dieses Engagement nun zu meinem Beruf machen.

Was haben Sie aus Ihrer diplomatischen Zeit mitgenommen?
Auf Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören. Auch wenn das Gegenüber andere Ansichten hat. Ich habe stets in der Wirtschaftsdiplomatie gearbeitet. Über Abkommen im Bereich Menschenrechte wollte ich nicht verhandeln, Menschenrechte sind für mich nicht verhandelbar.  

Sie übernahmen interimistisch die Leitung des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) nach der Abset-zung des Direktors. Die Organisation war in einer schwierigen Lage. Gibt es etwas, was Sie aus dieser Situation gelernt haben?
Krisenmanagement war mir nicht fremd, aber das, was ich beim SRK erlebt habe, war einschneidend. Bei vielen Beteiligten waren persönliche Verletzungen spürbar. In so einer Situation Dialoge zu führen, Lösungen zu suchen, ist anspruchsvoll. Als ich die Leitung übernahm, war für mich klar, dass ich das mache, bis die Organisation wieder in geregelten Bahnen läuft. Ein Neuanfang braucht neues Personal.

Carolina Frischkopf, 46

Die neue Direktorin ist die erste Frau an der Spitze des Hilfswerks Heks. Sie studierte in Genf Internationale Beziehungen, Wirtschafts- und Politik-
wissenschaften. Als Diplomatin war sie danach in Mexiko, Genf, Peking und Bern tätig. 2019 wechselte Frischkopf zum Schweizerischen Roten Kreuz, dessen Leitung sie während turbulenter Zeiten vorübergehend übernahm.

Beim Roten Kreuz war Diplomatie gefragt. Heks äussert sich politischer. Ist das für Sie ungewohnt?
Nein, gar nicht. Es braucht beides: Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und klare Statements von Organisationen, die Werte vertreten. Wichtig ist, dass öffentliche Statements nie so weit gehen, dass der Dialog nicht mehr möglich ist.

Wie beurteilen Sie die Menschenrechtslage heute weltweit?
Die Menschenrechte werden zunehmend unterminiert. Wenn dies auch durch Demokratien passiert, nimmt die Hemmschwelle ab und Rechtsverletzungen gelten zunehmend als salonfähig. Damit steigt die Gefahr, dass universelle Rechte für gewisse Menschen gelten, für andere nicht. Doch ich sehe auch ein Problem im internationalen Gefüge. Alle Organisationen und Strukturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, haben vielen Ländern Entwicklung beschert. Doch es gibt Länder, für die das nicht gilt, insbesondere viele der am wenigsten entwickelten Länder.

Strukturreformen etwa in der UNO sind langwierig. Was können Organisationen wie Heks tun,  um die Menschenrechte zu stärken?
Zum einen muss man jungen Menschen vermitteln, warum die Menschenrechte wichtig sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, den Frieden langfristig zu sichern. Doch die junge Generation hat diesen Krieg nicht mehr präsent. In der Entwicklungszusammenarbeit ist es zudem wichtig, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sie zu unterstützen und zu ermächtigen, anstatt ihnen unsere Lösungen ihrer Probleme aufzudrücken.

Nun lässt sich rechtlich einfordern, dass Staaten ihre Klimaziele einhalten und die Bevölkerung ein Recht auf ein Klima hat, das sie nicht beeinträchtigt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Klimaschutz neu als Menschenrecht definiert. Heks unterstützt indonesische Inselbewohner bei ihrer Klage gegen Holcim. Was bedeutet das Urteil?
Es ist wegweisend. Damit lässt sich rechtlich einfordern, dass Staaten ihre Klimaziele einhalten und die Bevölkerung ein Recht auf ein Klima hat, das sie nicht beeinträchtigt. Das wird auf politischer Ebene viel auslösen. Es geht nicht mehr nur darum, über den Klimawandel zu reden, es gilt zu handeln. Heks kann Lösungsvorschläge einbringen. Und darauf achten, dass es etwa mit Blick auf die CO₂-Kompensation nicht neue Verlierer gibt.

Heks ist in der Schweiz in der Rechtsberatung von Asylsuchenden tätig. Wie erleben Sie derzeit die Debatte um Migration?
Als aufgeladen und sehr zwiespältig. Einerseits ist die Schweiz ein weltoffenes Land, das von zugewanderten Menschen aus verschiedensten Kulturen stark profitiert. Andererseits gibt es wieder vermehrt Ängste vor dem Fremden, Abschottungstendenzen. Ganz wichtig sind für mich Begegnungen zwischen Menschen, so können Vorurteile und Ängste abgebaut werden.

Heks trägt die Kirche im Namen. Die Gesellschaft wird immer säkularer. Wird das zum Problem?
Ich glaube nicht. Die Werte, wie sie die Kirchen und Heks vertreten, sind sinnstiftend und überkonfessionell: Respekt, Nächstenliebe, Solidarität. Unabhängig von der Kirche ist diese Basis entscheidend für die Gesellschaft und wird es bleiben.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Kirche?
Ich bin katholisch aufgewachsen und besuchte in Immensee das Gymnasium der Missionsgesellschaft Bethlehem. In dieser Zeit habe ich mich viel mit der Befreiungstheologie und dem kritischen Umgang mit der Kirche und ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Daher stammt auch meine Erkenntnis, dass die Kirche nach wie vor eine gesellschaftspolitische Rolle hat und sich aktiv in den öffentlichen Diskurs eingeben soll, wenn es um Werteorientierung geht oder um die Achtung der Menschenrechte sowie die Erhaltung der Lebensgrundlagen für die folgenden Generationen.

Der Bedarf nach Unterstützung steigt, die Ressourcen hingegen kaum. Hilfsorganisationen müssen sich auf Bereiche konzentrieren, in denen sie wirklich einen humanitären Mehrwert bringen.

Nicht nur Krisen sind globaler, auch NGOs konkurrieren international. Was heisst das für Heks?
Die Ansprüche von Geldgebern steigen, und der Konkurrenzdruck wird grösser. Doch Heks hat sich in den letzten 15 Jahren stark professionalisiert und ist heute nicht nur als eine der wichtigsten und grössten Hilfsorganisationen der Schweiz im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe anerkannt, sondern wird auch international geschätzt. Zudem fokussiert Heks sich auf Schwerpunktthemen: Recht auf Land und Nahrung, Klimagerechtigkeit, Flucht und Migration sowie Integration.

Wie wichtig ist ein klarer Fokus?
Sehr wichtig. Es gibt Hilfsorganisationen, die im Verhältnis zu ihrer Grösse zu vieles machen. Die Zusammenarbeit und die Suche nach Synergien mit privaten und staatlichen Partnern werden immer wichtiger. Zwar steigt der Bedarf nach Unterstützung, die Ressourcen hingegen kaum. Hilfsorganisationen müssen sich auf Bereiche konzentrieren, in denen sie wirklich einen humanitären Mehrwert bringen.

Im Februar wurden zwei Heks-Mitarbeitende in der Ukraine getötet. In Israel gab es den Angriff  auf World Central Kitchen. Die Arbeit von Hilfsorganisationen scheint gefährlicher zu werden. Warum?
Weil das humanitäre Völkerrecht nicht mehr eingehalten wird wie früher. Die Tendenz, dass nicht-staatliche Akteure etwa Schutzembleme nicht respektieren, gab es schon länger. Neuerdings tun es ihnen staatliche Akteure nach. Humanitäre Arbeit hat eine völlig andere Qualität, wenn man Angst haben muss, zur Zielscheibe zu werden.

Wird humanitäre Hilfe unmöglich?
Nein. Aber wir müssen uns politisch dafür einsetzen, dass das humanitäre Völkerrecht wieder oberste Priorität geniesst. Ist das in einem Land nicht der Fall, muss die Staatengemeinschaft und mit ihr die Schweiz Druck ausüben. Und auch die Zivilgesellschaft ist gefordert und muss Verstösse klar und konsequent verurteilen.