Trauern über Zoom

Kausalien

Die Pandemie schränkt die Teilnahme an Beerdigungen ein. Erste Abdankungen werden deshalb im Internet übertragen. Die Idee findet Anklang, wirft jedoch Datenschutzfragen auf.

Den Sarg schmücken Gestecke mit gelben Blumen. Der Pfarrer steht daneben und spricht über die Leidenschaft des Verstorbenen für die Musik und das Handwerk. Auch das schwierige Ende des erfüllten Lebens spart er nicht aus. 50 Menschen haben sich an diesem Oktobernachmittag in der Kirche nahe Stockholm eingefunden. Eine grössere Trauergemeinde lassen die Corona-Massnahmen nicht zu.

Abschied nehmen 25 weitere Leute. Sie sitzen am Smartphone oder vor ihrem Computer. Im nahen Altersheim, irgendwo in Schweden oder im Ausland. Die Abdankung wird via Zoom übertragen. Seit März streamen schwedische Bestattungsinstitute Abdankungen, wie der nationale Rundfunk berichtete. Geplant war die Einführung der Technik ohnehin, die Pandemie hat sie nun beschleunigt.

Zwölf Übertragungen in drei Monaten

Auch in der Schweiz nutzen erste Trauerfamilien diese Möglichkeit: Die reformierte Kirchgemeinde Bülach hat in den vergangenen drei Monaten zwölf Beerdigungen live übertragen. «Wir machen damit sehr gute Erfahrungen», sagt Pfarrer Jürg Spielmann. Seit die Corona-Fallzahlen wieder stark steigen, bieten die Pfarrpersonen die Möglichkeit allen Angehörigen an, Dreiviertel entscheiden sich dafür.

Gewisse Vorteile liegen für Spielmann auf der Hand: «Wir steuern, dass nicht zu viele zur Kirche kommen, und bieten der Risikogruppe eine Alternative zum Besuch der Feier, wenn sie sich damit derzeit unwohl fühlt.» Ausserdem können Menschen aus dem Ausland teilnehmen, die wegen Reisebeschränkungen nicht kommen können. Bülach bietet zudem eine Zwischenlösung an, die auch andere Gemeinden testen: eine Übertragung ins Kirchgemeindehaus. So können in Pandemiezeiten grosse Trauergemeinden gemeinsam Abschied nehmen.

Heiliger Schauer trotz Internet

Für die Kirchgemeinde Bülach war der Schritt zur Livestream-Abdankung klein. Seit Jahren zeichnet sie Sonntagsgottesdienste auf, manchmal auch Taufen oder Hochzeiten. Zwei Kameras sind im Kirchenraum fix installiert.

Theologieprofessor Thomas Schlag hält das Modell für zukunftsträchtig. Theologisch betrachtet, bildeten die Menschen in der Kirche und diejenigen am Bildschirm eine Trauergemeinde in einem Geist. «Die Technik nimmt dem heiligen Schauer nichts.» Echte Anteilnahme sei auch am Bildschirm möglich. «Das wissen wir spätestens seit der Trauerfeier für Prinzessin Diana, die Millionen Menschen bewegte.» 

Schlag hat vor allem den seelsorgerlichen Aspekt im Auge. Er hat selbst erlebt, wie die Pandemie das Abschiednehmen verunmöglichen kann. Schlags Vater konnte bei der Abdankung der eigenen Schwester nicht anwesend sein. Er wäre für so eine Möglichkeit dankbar gewesen, sagt der Theologieprofessor. «Man spürt bis heute, dass er sich nicht verabschieden konnte.» 

Die Grenzen der Technik

Allerdings stellen sich für Schlag bei Internetübertragungen Datenschutzfragen: «Wie nah werden die Trauernden gezeigt und wer behält die Erinnerungshoheit, sprich ist der Gottesdienst dauerhaft verfügbar?» Die Kirchgemeinde Bülach zeigt keine Nahaufnahmen bei Beerdigungen. Der Gottesdienst wird ins Internet übertragen, doch der Link findet sich nur auf der Website der Kirchgemeinde und wird nicht zusätzlich beworben.

Wie viele Gemeinden bereits auf die Technik setzen, ist nicht bekannt. Der Vorsitzende des Zürcher Pfarrkonvents, Matthias Reuter, räumt einer breiteren Nutzung in Zukunft zumindest gute Chancen ein. Beim Bestattungsamt der Stadt Zürich heisst es, man sei für derartige Konzepte offen, sollten sie von Angehörigen gewünscht werden.

In der Kirche nahe Stockholm legen Angehörige und Freunde Blumen auf den Sarg, die Online-Gemeinde schaut zu. Ein Moment, in dem die Grenzen der Technik dann doch schmerzen.

«Das Ritual ist geradezu notwendig»

Wegen der Corona-Pandemie dürfen nur noch 50 Menschen in die Kirche, Reisen sind schwieriger als früher. Wie wichtig ist für Angehörige die Teilnahme an einer Beerdigung für das Abschiednehmen?

Anne-Marie Müller: Die Beerdigung ist ein geradezu notwendiges Ritual. Es reicht nicht zu wissen, das jemand gestorben ist, die Beerdigung ist eine Handlung, die dieses Wissen auch vollzieht. Bei der Abdankung sagen wir das erste Mal: «Dieser Mensch mit diesem Lebenslauf ist nun nicht mehr da, er fehlt.» Bleibt das aus, kann es Hinterbliebenen jahrelang nachgehen.

Wie schätzen Sie aus seelsorgerlicher Perspektive eine Teilnahme über das Internet ein?

Es ist sicher besser, als gar nicht dabei zu sein. Bislang war es so, dass Pfarrer an Menschen, die bei der Beerdigung verhindert waren, ab und an die Predigt verschickten. Das wurde durchaus geschätzt. Eine Teilnahme per Livestream geht in eine ähnliche Richtung und ist daher begrüssenswert.

Hinter dem Bildschirm lässt sich keine Blume auf den Sarg legen, 
keine spontane Fürbitte sprechen.

Das stimmt. Aber auch dafür gäbe es Lösungen. Die zugeschalteten Menschen könnten in dem Moment, in dem die Trauergemeinde in der Kirche so eine Handlung vollzieht, eine Kerze anzünden oder ihre eigenen Gedanken auf Papier bringen. Diesen Zettel könnten die Leute beispielsweise bei einem Besuch auf dem Friedhof vergraben oder der Trauerfamilie schicken. Das bedeutet allerdings, dass man die Menschen am Bildschirm vorab darüber informiert.

Am Bildschirm sitzt man alleine. In der Kirche herrscht Gemeinschaft. Wie wichtig ist diese Gemeinschaft für den Trauerprozess?

Die Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Einige Menschen, die tief trauern, sind in Schmerz versunken und fühlen sich durch Anwesende gar gestört. Andere wiederum finden Trost darin, dass sie nicht allein sind. Vor Corona war ja auch mehr körperliche Nähe möglich, für manche ist das sehr wichtig. Hinzu kommt, dass die Beerdigung eine Würdigung des Verstorbenen ist und schon die Teilnehmerzahl etwas über den Menschen aussagt. Manche Leute erzählen noch Jahre
 später von der Beerdigung des Partners und heben jede schriftliche Beileidsbekundung auf.

Lässt sich die Gemeinschaft auf Distanz herstellen?

Sicher ist es hilfreich, sich mit anderen Teilnehmern danach über die Feier und die dabei entstandenen Gefühle auszutauschen. Und noch einmal den Kontakt zur Trauerfamilie zu suchen. Das wird von den nahen Angehörigen in der Regel begrüsst.

Anne-Marie Müller ist Pfarrerin in der Kirchgemeinde Zürich und schreibt in der Rubrik «Lebensfragen» für «reformiert.».