"Autobahnkirchen sind Gegenorte"

Kirche

Die erste Autobahnkirche der Schweiz ist im Schams geplant. Zum Projektteam gehören Touristiker, Politiker und Kirchgemeindevertreter beider Landeskirchen.

Vielerorts werden Kirchen verkauft oder umgenutzt, weil sie niemand mehr nutzt. Sie wollen eine neue bauen. Warum?

Jens Köhre: Zu Tausenden fahren die Menschen an unserem Dorf vorbei. Wir kümmern uns, um sie eigentlich nur wenns kracht und wir mit der Feuerwehr ausrücken um sie aus den Wracks zu befreien. Mit einer Autobahnkirche bieten wir allen Durchfahrenden einen Ort der Einkehr, einen Gebetsort. Damit setzen wir eine alte Tradition im Schams fort. Viele unserer zwölf Kirchen im Tal, in denen wir übrigens jeden Sonntag recht gut besuchte Gottesdienste feiern, waren urpsrünglich Wegkapellen. Hier hielten die Menschen inne, tankten Kraft für die Weiterreise.

Warum kommen Sie jetzt mit der Idee?

Seit fünfzehn Jahren trage ich diesen Gedanken mit mir herum. Doch erst hier im Tal der Kirchen habe ich gemerkt, dass dies der richtige Ort dafür wäre. Wir sind ein kirchlich geprägtes Tal. Zudem plant der Bund entlang der A13 verschiedene Anpassungsbauten. Das schien mir ein guter Zeitpunkt zu sein, die Idee einzubringen. Also suchte ich vor zwei Jahren, nach der Renovation unserer Dorfkirche, das Gespräch mit unserem Gemeindepräsidenten.

Wie reagierte die Gemeinde?

Nach zwei Jahren Prüfung stellen wir fest: Das ist etwas, das die Menschen hier tragen würden. Als Kirchengemeinschaft wollen wir auf die Menschen zugehen. Unsere alten Kirchen stehen nicht am Weg, den halb Nordeuropa jetzt nutzt um in den Süden zu gelangen. Die Autobahnkirche wär so ein Stolperstein oder noch besser, ein Leuchtturm, der die Menschen zum Innehalten bringt und übrigens unser Tal wahrnehmen lässt.

Sie erhoffen sich ein neues Touristensegment?

Nicht in erster Linie. Umfragen zu Autobahnkirchen in Deutschland zeigen, dass der durchschnittliche Besucher einer Autobahnkirche männlich, zwischen vierzig und sechzig Jahre alt ist. Sie wünschen Anonymität. Da sitzt man, manchmal nur ein paar Minuten, in stiller Andacht, im Gebet, trägt sich vielleicht in das Anliegenbuch ein und macht sich dann weiter auf den Weg. Rund vierzig Prozent sind Kirchenferne. In einer Autobahnkirche finden auch keine Gottesdienste statt.

Gibt es auch kritische Stimmen?

Ja, die gibt es. Zum Beispiel die Befürchtung, dass wertvolles Weideland für den Bau verschwendet werden könnte. Die Gemeinde besitzt Land, das jetzt als Holzrüstplatz dienst. Es liegt direkt an der A 13 und wäre ideal für den Bau einer Autobahnkirche. Natürlich müssten Geländeanpassungen vorgenommen werden, damit auch die Vierzigtönner parkieren können.

Warum sollen die Menschen grad im Schams anhalten und nicht im Nachbartal Domleschg, wo es eine Autobahnraststätte gibt?

Die Frage haben wir uns auch gestellt. Aber ich glaube, Autobahnkirchen sind «Gegenorte» zum Lärm, der schnellen Abfertigung der Raststätten. Es ist ein Ort der Stille und der Verlangsamung. Da tut es gut, wenn eine Kirche an einem ruhigen Ort steht.

Gibt es schon Ideen für den Neubau?

Wichtig ist, dass das Gebäude als Kirche erkennbar ist. Unsere Kirchen haben ein Schiff, einen Turm und sind meistens aus Stein gebaut. Eine schlichte Innenausstattung, mit reduzierter religiöser Symbolik, wie sie der bündnerischen Tradition entspricht, könnte ich mir gut vorstellen.

Sind Räumlichkeiten für Nichtchristen vorgesehen?

Wir bauen ein christliches Gotteshaus, weil die Mehrheit der Menschen hier einer christlichen Kirche angehören. Ob ein Muslim da betet, weiss ich nicht. Die Erfahrung aus Deutschland zeigt, dass es gut ist, wenn ein solches Gebäude konfessionell verankert ist.

Ist das Projekt hinfällig ohne Vollanschluss an die A 13?

Anfangs dachten wir das. Mittlerweile können wir uns das auch ohne vorstellen. Unabhängig davon: Das A und O für eine Autobahnkirche ist die Beschilderung auf der Autobahn.

Welches sind die nächsten Schritte?

Zunächst werten wir die Rückmeldungen der Informationstagung aus. Dann soll eine neu zu gründende Stiftung oder ein Verein die Trägerschaft übernehmen. Vielleicht gibt es einen Architektenwettbewerb. Schliesslich kommt das Projekt vor die Gemeindeversammlung. Sie entscheidet über die Vergabe der Grundstücksparzelle.

Jens Köhre, 44

Jens Köhre ist in der Nähe von Bielefeld aufgewachsen und arbeitet seit 16 Jahren im Kanton Graubünden als Pfarrer. Die letzten acht in Andeer. Er studierte Theologie in Heidelberg und Basel, ist verheiratet und hat fünf Kinder.