Recherche 15. November 2022, von Christian Kaiser

Effektiv spenden: «Wohin ist wichtiger als wie viel»

Spenden

Der Ethiker Dominic Roser ist praktizierender Christ und ein Verfechter der Philosophie des Effektiven Altruismus. Er ist überzeugt, dass sich beide Seiten gegenseitig befruchten.

Sie sagen, der Effektive Altruismus sei für Christinnen und Christen ein Schatz von unschätzbarem Nutzen. Warum?

Dominic Roser: Weil der Ansatz unseren Nächsten viel bringt: unsere globalen Nachbarinnen und Nachbarn profitieren enorm davon, wenn wir weise Spendenentscheide treffen.

Sie sehen Effizienz als Gebot der Nächstenliebe?

Es heisst ja in der Bibel nicht nur: «Liebe deinen Nächsten» sondern auch liebe «mit ganzer Kraft» und «ganzem Verstand». Die Vernunft wird an dieser zentralen Stelle explizit als Werkzeug der Liebe genannt. Schlau zu spenden ist drum das grösste Geschenk, das wir den bedürftigen Nächsten machen können: wohin wir das Geld geben macht einen viel grösseren Unterschied als wieviel wir geben.

Sollte ich in Sachen Liebe nicht eher das Herz entscheiden lassen?

Das Herz ist eine fantastische Antriebskraft, aber ein schlechter Kapitän. Ich denke: Wahre Nächstenliebe achtet darauf, was den Nächsten möglichst gut unterstützt – und nicht bloss, was sich für mich selbst möglichst gut anfühlt. Sich Zeit zu nehmen und sorgfältig zu überlegen, wo das eingesetzte Geld am meisten Menschen hilft, ist darum ein Akt wahrer Nächstenliebe. Was letztlich zählt ist letztlich nicht die Grösse meines Opfers – Zeit, Geld und Herzblut – sondern der Nutzen für meine Nächsten.

Wie gehe ich dabei am besten vor?

Wenn Sie schon Geld geben, dann geben Sie auch etwas Zeit, um zu recherchieren, wo Ihr Geld die grösste Hebelwirkung erzielt. Schon nur eine oder zwei Stunden können die Wirkung ihrer Spende vervielfachen. Überlegen Sie sich, in welchem Feld Ihr Geld den grössten Unterschied macht – egal ob Sie für das Thema eine Leidenschaft haben oder nicht: Armutsbekämpfung, Tierschutz, Klimaerwärmung? Diverse Organisationen überprüfen die Wirksamkeit von Hilfswerken und Projekten und helfen beim Entscheid. Es gibt inzwischen viel Forschung darüber, was wirkt und was nicht; wählen Sie unter allen Optionen die beste.

Und wenn ich lieber ein Projekt im Inland oder eine Organisation, mit der ich mich verbunden fühle, unterstütze?

Wählen Sie auch hier einen pragmatischen Ansatz. Am einfachsten sind simple aber klare Faustregeln, z.B. eine Spenden-Quote von 10 Prozent festlegen und davon die Hälfte für Projekte geben, wo alleine zählt, ob sie möglichst vielen Menschen möglichst viel helfen. Vergessen Sie dabei nicht, dass ein und derselbe Franken in Entwicklungsländern gut auch 100- oder 1000-mal mehr Menschen helfen kann als in der Schweiz.

Und mit dem Rest?

Die andere Hälfte dieser 10 Prozent können wir gemeinnützigen Institutionen oder Projekten geben, die uns persönlich nahestehen. Natürlich können Sie immer auch über die festgelegte Quote hinaus einzelne Menschen oder kirchliche Initiativen unterstützen. Meine Frau und ich handhaben das auch so.

Dominic Roser hat gemeinsam mit den Ethikern Stefan Riedener und Markus Huppenbauer in einem neuen Forschungsband untersucht, was Gläubige aller Religionen von der Philosophie des Effektiven Altruismus profitieren können – und was umgekehrt die rationale Bewegung des Effektiven Altruismus von der religiösen Tradition des Helfens und der Nächstenliebe lernen kann. Diese Perspektive habe in der wissenschaftlichen Diskussion bis heute gefehlt:

Roser / Riedener / Huppenbauer (Hsg.): Effective Altruism and Religion – Synergies, Tensions, Dialogue. Pano / Nomos 2022