Die Verfolgung von Christen hat im vergangenen Jahr auf allen Kontinenten zugenommen. Dies geht aus dem aktuellen Weltverfolgungsindex hervor, der jährlich vom evangelikal geprägten Hilfswerk Open Doors erhoben wird.
Nordkorea an der Spitze. «Wir verzeichnen beinahe eine Verdoppelung bei den Gewaltübergriffen auf Christen», sagt Patrick Schäfer, der die Niederlassung des Werkes in der Deutschschweiz leitet. Im letzten Jahr stiegt die Zahl der wegen ihres Glaubens ermordeten Christen von 4344 auf 7100. Verdoppelt haben sich auch die Angriffe auf Kirchen, und zwar von 1062 auf 2406. Wie ist diese dramatische Entwicklung zu erklären? Schäfer: «Sie hat in erster Linie mit dem zunehmenden Einfluss radikal islamischer Gruppierungen zu tun, wie dem Islamischen Staat oder Boko Haram.» In 35 der 50 beobachteten Länder ist dem Bericht zufolge die primäre Triebkraft der radikale Islam. Etwa in Irak (Rang 2), Afghanistan (4), Syrien (5) oder Nigeria (12).
Angeführt wird das Negativ-Ranking jedoch seit vierzehn Jahren konstant von Nordkorea. «Allein der Besitz der Bibel kann dort den Tod bedeuten», sagt Schäfer. Die Zahl der Christen wird auf rund 400 000 geschätzt. Zehntausende leben in Arbeitslagern, wo sie gemäss Open Doors ausgehungert, gefoltert und auch ermordet werden. Es gebe nur wenige Kirchen, und diese seien mehr Theater als Kirchen. «Es befinden sich nur Statisten dort, um ausländischen Journalisten glaubhaft zu machen, dass im Land Glaubensfreiheit herrsche», sagt Schäfer.
Paranoider Präsident.Grösster Aufsteiger in der aktuellen Statistik ist Eritrea. Der Staat im Nordosten Afrikas kletterte von Rang neun auf Platz drei. Zwar garantiert die Verfassung von 1997 Religionsfreiheit. Doch diese Verfassung nach westlichem Vorbild ist noch immer nicht in Kraft. Insbesondere Freikirchen haben es schwer: Seit einem Verbot aller Religionsgemeinschaften 2002 bleiben sie geschlossen. «Tausende von Christen harren wegen ihres Glaubens in Gefängnissen aus ohne offizielle Anklage oder Gerichtsverfahren. Jährlich sterben einige an den unmenschlichen Haftbedingungen», schreibt Open Doors.
Schäfer erklärt die Verschlimmerung mit dem internationalen Druck auf das totalitäre Regime: «Der Präsident ist paranoid und hat Angst, dass er gestürzt wird.» Christen würden als Verbündete ausländischer Mächte betrachtet. Offiziell gestattet sind in Eritrea die orthodoxe und katholische Konfession und der Islam – wobei alle Gläubigen laut Schäfer unter Dauerbeobachtung stehen.
Staatstreuer Flügel. «Die Situation in Eritrea ist komplex und von der Schweiz aus kaum adäquat zu beurteilen», sagt hingegen Pfarrerin Dinah Hess. Sie leitet das Zentrum für Migrationskirchen der reformierten Kirche in Zürich, wo eine grosse eritreische Diaspora lebt. Dazu zählen Orthodoxe und evangelische Gemeinden sowie Pfingstkirchen. Sogar die orthodoxe Gemeinschaft ist keine homogene Gruppe. «Nur ein Teil lehnt den Patriarchen in Eritrea ab, der von der Regierung eingesetzt wurde», sagt Hess. Es könne daher nicht pauschal von Christenverfolgung gesprochen werden.
Den Index von Open Doors beurteilt Hess skeptisch. Aus welcher Perspektive wurde er verfasst? Geht es nur um evangelische Christen? «Die Untersuchung ist für mich zu schwarz-weiss gezeichnet.» Politische, soziale und wirtschaftliche Hintergründe würden kaum beleuchtet und «zu viele Fallbeispiele für ein ganzes Land generalisiert», kritisiert die Pfarrerin.