Die Welt und die Polizeischule im Haus der Religionen

Interreligiöser Dialog

Das Haus der Religionen in Bern wird zehn Jahre alt. Zum Jubiläum gibt’s auch ein Buch und eine neue Strategie. Und die Polizeischule Ostschweiz lobt die Institution.

Unbescheiden lautet der Titel eines neuen Buches «Die Welt am Europaplatz» – und klärt gleich im Untertitel ein bisschen auf: «Geschichten aus dem Haus der Religionen – Dialog der Kulturen». Auf fast 150 grossformatigen Seiten mit vielen Bildern und in vielfältigen kurzen und längeren Texten blickt das HdR im Buch zurück auf ihre ersten zehn Jahre.

«Einmalige Einrichtung»

«Das Haus der Religionen ist eine einmalige Einrichtung: Acht Religionsgemeinschaften sind zusammen unter einem Dach», betonte Johannes Matyassy an einer Medienkonferenz gleich zu Beginn. Der Präsident des Vereins des HdR läutete mit dem Anlass gleich einen ganzen Reigen ein: zehn Veranstaltungen während zehn Wochen werden jetzt folgen. Am 20. Oktober beginnt es mit Buchvernissage und Eröffnung der Ausstellung «Die Welt zu Hause am Europaplatz». Am 14. Dezember wird Abschluss sein mit dem Tag der offenen Türen und einem grossen Fest. Denn genau am 14. Dezember 2014 wurde die «einmalige» Institution am Europaplatz 1 in Bern eröffnet.

Das Haus der Religionen

Die Geschichte begann bereits 1998. Damals brachte eine Studie des Stadtplanungsamtes Bern für das westliche Quartier die Idee eines Hauses der Religionen ein. 2002 wurde der Verein gegründet. Und nach diversen Provisorien eröffnete schliesslich am 14. Dezember 2014 das heutige «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» (HdR) seine Tore am Europaplatz 1 – direkt neben und fast unter der Autobahn, bei einer urbanen Schnittstelle von Neuem, Altem und ganz unterschiedlichen Menschen mit ihren Bedürfnissen.

Acht Religionsgemeinschaften beteiligen sich am HdR: aus dem Hinduismus, Islam, Christentum, Buddhismus, Judentum, Alevitinnen und Aleviten, Bahá'i und Sikhs. Fünf davon haben dort eigene Kultusräume gemietet. Als Herzstück bezeichnet das HdR selbst den «Dialogbereich»: Räume, die allen zur Verfügung stehen, für Bildungsangebote, Familien- und Jugendarbeit und Veranstaltungen. Hier lädt zudem das nach eigenen Angaben einzige ayurvedisch-koschere Restaurant der Schweiz zum Besuch. Erfolgsprojekte seien etwa der «Brunch international» und Kurse in heimatlicher Kultur für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Gemäss HdR-Präsident Johannes Matyassy strahlt die Institution aus bis über die Landesgrenzen. Zahlen und herausragende Ereignisse aus den zehn Jahren unterstreichen das. Jährlich finden 350 Rundgänge und Workshops für Schulen und andere Gruppen statt. 2016 war der Dalai Lama zu Besuch, ebenso diverse Verantwortungstragende aus Politik und Diplomatie. Mehr als jeden dritten Tag findet im Schnitt eine Veranstaltung statt. Rund 150'000 Menschen kommen so jährlich an den Europaplatz 1 – und das alles bei einem Budget von nur 1.5 Millionen Franken pro Jahr.

Zur Website des Hauses der Religionen – Dialog der Kulturen.

Aus der Runde von Rednerinnen und Rednern an der Medienkonferenz stach ein Mann speziell heraus. Als Direktor der Polizeischule Ostschweiz sagte Marcus Kradolfer klärend gleich am Anfang: «Seit 2023 besuchen alle jeweils 120 Aspirantinnen und Aspiranten unserer Schule das Haus der Religionen. Das ist Teil des Fachs Interkulturelle Kompetenz – und essenziell für die Polizeiarbeit.» Ausschlaggebend fürs Entstehen der Kooperation sei gewesen, dass zuvor Schülerinnen und Schüler bei einem Moscheebesuch in St. Gallen gefragt hätten, warum nicht auch andere Religionsgemeinschaften besucht würden. 

Mitarbeit bei Polizeischullehrmittel

So kam eine erste Zusammenarbeit des Hauses mit einer Polizeiausbildungsstätte zustande. Im Gespräch ist zurzeit auch die Berner Polizei. Die Ostschweizer Polizeischule überarbeitete gar ihr Lehrmittel zu den interkulturellen Kompetenzen in Zusammenarbeit mit der Berner Institution. Und aus Kradolfers Sicht lohnt sich die Kooperation: «Die Teilnehmenden finden es richtig cool. Letztlich erleichtert die Zusammenarbeit der Polizei den Job. Denn erst die Aneignung von Wissen über andere ermöglicht uns verhältnismässiges Handeln.»

Zurzeit überarbeitet das Haus der Religionen seine Strategie. Die noch gültige von 2019 werde nicht mehr allen aktuellen Herausforderungen gerecht, sagte Vereinspräsident Johannes Matyassy. Zusammen mit allen Gemeinschaften des Hauses seien ein Prozess lanciert und Stärken, Schächen und Chancen analysiert worden. 

Mitten im Prozess für neue Strategie

«Der Vorstand hat jetzt fünf strategische Handlungsfelder definiert», erklärte Matyassy. Das sind die Zusammenarbeit der Gemeinschaften, das Angebot des HdR, die Finanzen, das Gewinnen neuer Mitglieder und die Kommunikation nach aussen beziehungsweise die Positionierung der Institution. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen: Jetzt gehe es darum, in diesen Handlungsfeldern konkrete Ziele zu definieren und sie umzusetzen. Dies solle wiederum zusammen mit allen Beteiligten erfolgen.

Im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre zeichneten die Co-Leiterinnen des Hauses ein realistisches Bild, bei dem sie neben dem Schönen das Schwierige nicht ausliessen. Im HdR würden Potenzial von Migration und Religion für die Gesellschaft und Kultur sichtbar, sagte Louise Graf. «Wir sind ein Labor und eine Vision, aber auch gelebte Realität. Der Austausch kann helfen, Klischees zu brechen und Ängste und Verunsicherungen abzubauen.»

Grössere Anforderungen und Herausforderungen

Zugleich wies Co-Leiterin Karin Mykytjuk darauf hin, dass zwar die Anforderungen an den Betrieb gestiegen und die Strukturen professionalisiert worden seien – dass aber die Finanzierung «leider nicht im gleichen Mass mitgewachsen» sei. Weiter würden sich bei den Engagierten teils «Ermüdungserscheinungen» zeigen, weil sich auch die Bedürfnisse der eigenen «Communitys» verändert und die Erwartungen gestiegen seien. Und eine Herausforderung seien auch die Zwangsheiraten, die im November 2022 publik gemacht wurden. «Wir haben unter anderem mit strengeren Regeln und Sensibilisierungskursen reagiert. Es soll nicht wieder vorkommen», sagte Mykytjuk.