Sechs Mal sollen in der Moschee im Berner Haus der Religionen Menschen gegen ihren Willen verheiratet worden sein. Die Vorfälle, welche das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) publik machte, erschüttern die Institution, die davor als Vorzeigebeispiel für Toleranz, interreligiöse Zusammenarbeit und Integration gefeiert wurde.
Alle Glaubensgemeinschaften müssen mehr gegen Zwangsehen tun
Religiöse Gemeinschaften müssten allgemein mehr unternehmen, um Zwangsheiraten zu verhindern, sagen Fachleute nach den Vorfällen in Bern. Eine nationale Charta ist geplant.
Den vorläufigen Schlusspunkt hinter die Negativschlagzeilen setzte im Januar Mustafa Memeti, der seinen Rücktritt als Berner Imam ankündigte. Memeti räumte ein, in der Vergangenheit nicht immer sorgfältig genug hingeschaut zu haben, wenn in der Moschee Hochzeitszeremonien stattgefunden hatten. Mit seinem Abgang wolle er einen Neuanfang möglich machen.
Bei der Fachstelle Zwangsheirat, dem nationalen Kompetenzzentrum, begrüsst man diesen Schritt. «Menschen machen Fehler, wenn sie Verantwortung übernehmen, ist das ein positives Signal», sagt Präsidentin Anu Sivaganesan. Es sei aber wichtig, dass das Thema langfristig ernst genommen werde, was allgemein selten der Fall sei. «Die Sensibilisierung rund um Zwangsheirat wird bei religiösen Gemeinschaften leider eher lasch gehandhabt.»
Die Präsidentin der Fachstelle betont, dass das Problem der Zwangsheiraten nicht auf die muslimische Gemeinschaft beschränkt sei. «In Zürich kam es beispielsweise zu Zwangsverheiratungen im christlich-orthodoxen Umfeld der eritreischen Diaspora.» Es gebe ausserdem immer wieder hinduistische Betroffene und auch Zwangsheiraten bei christlichen Roma oder Menschen mit jesidischen Wurzeln.
Letztes Jahr hat die Fachstelle Zwangsheirat in insgesamt 346 Fällen betroffene Menschen beraten und begleitet. Anu Sivaganesan geht aber von einer hohen Dunkelziffer bei Zwangsheiraten aus. «Unsere dokumentierten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs.» In fast 40 Prozent der Fälle, welche die Fachstelle letztes Jahr betreute, ging es um Minderjährigenheiraten. Bei einem Drittel handelt es sich um nun volljährige Frauen, die sich aus Ehen lösen wollen, zu denen sie als Minderjährige gezwungen wurden.
Als «Hotspot» für Zwangsheiraten und religiöse Hochzeitszeremonien ohne Ziviltrauung bezeichnet Sivaganesan den Kanton Zürich.
2005 verabschiedete die Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich eine Grundsatzerklärung, in der sie das Primat der Ziviltrauung festhält. «Es ist wichtig, dass wir uns zur Schweizer Rechtsordnung bekennen», sagt Geschäftsführer Muris Begovic.
Auch im Haus der Religionen in Bern hat der Vorstand Verhaltensrichtlinien erlassen.
Nationale Charta geplant
«Das sind wichtige Schritte, aber es darf nicht bei schönen Worten bleiben», sagt Sivaganesan. Die Regeln müssten im Alltag durchgesetzt werden, und dabei hapere es noch.
In Grossbritannien gebe es eine nationale Charta, in der sich religiöse Gemeinschaften verpflichteten, die Rechtsstaatlichkeit rund um die Eheschliessung einzuhalten. «Eine solche Charta planen wir auch für die Schweiz.»