Ist die Beiz zu, fehlt viel mehr als das Feierabendbier

Gastronomie

Trotz offenen Terrassen kämpfen wegen Corona viele Wirtsleute um die Existenz. Bernhard Jungen ist als Seelsorger für die Branche unterwegs, die er als Kitt der Gesellschaft sieht.

Das Restaurant von Simone Busch am Tellplatz in Basel ist eine Mischung aus Spezialitätenladen, Bar und Café. Hier werden saisonale Produkte aus der Region serviert. Die meisten ihrer Gäste kennt die engagierte Wirtin persönlich. Etliche von ihnen haben sie seit Ausbruch der Pandemie unterstützt: finanziell wie auch moralisch.

«Das ist unglaublich wertvoll», sagt Simone Busch. Sie habe die Leute in den letzten Monaten, als der Betrieb geschlossen war, vermisst. «Ich glaube, sie mich auch.» Umso glücklicher sind nun alle, dass wenigstens die Terrasse geöffnet ist. «Für mich lohnt es sich, draussen zu servieren», führt die Baslerin aus. Doch das sei nicht bei allen der Fall. Die Einschränkungen seien für die Gastronomie «eine Katastrophe»: keine Gäste, kein Umsatz, viel Bürokram, etwas Geld vom Bund und viel Zeit, um in eine ungewisse Zukunft zu blicken.

Hingehen und zuhören

Pfarrer Bernhard Jungen kennt die Nöte. Als Gastroseelsorger besucht er im Auftrag der Evangelischen Stadtmission Basel Restaurantbetreiber. Dabei hat er eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Gastronominnen und Gastronomen leben ihren Beruf mit Leidenschaft. «Es sind kontaktfreudige Menschen. Menschen, die sich für andere interessieren und ihren Gästen eine Art Zuhause bieten.» Fehle also die Quartierbeiz, fehle nicht nur der Kaffee, das Bier oder das Mittagsmenü, sondern auch der Treffpunkt, die Begegnung und das persönliche Gespräch. «Die Gastronomie ist eine Art Kitt in unserer Gesellschaft», sagt Jungen, das habe sich in der Pandemie gezeigt.

Der Berner Pfarrer versteht sich als Seelsorger von Seelsorgenden. Ein geschlossenes Restaurant bringe die Betreiber nicht nur an finanzielle, sondern auch an psychische Grenzen, sagt er. Er besuche sie, telefoniere, höre ihnen zu. «Ich bin ganz Ohr, weine und lache mit ihnen. Und die Tatsache, dass ich die Leute aufsuche und viel Zeit habe, wird offenbar geschätzt.»

Was die Gastro­nomie für die Ge­sellschaft leis­tet, ist von unschätz­barem Wert.
Bernhard Jungen Theologe, Gastroseelsorger

Nun hat Bernhard Jungen sich entschlossen, den betroffenen Menschen eine Stimme zu geben. Er führte 25 Interviews, die er in einem Buch nun veröffentlicht. Die Gastwirte hätten ihm oftmals ihr ganzes Berufsleben erzählt, das voll von schönen, traurigen und witzigen Ge-schichten sei. «Mag sein, dass mein Engagement etwas zu anwaltschaftlich ist», überlegt der Pfarrer. «Doch was Gastronominnen und Gastronomen für die Gesellschaft leis-ten, ist von unschätzbarem Wert.»

Branche unter grossem Druck

Dass die Branche Unterstützung braucht, findet auch Urs Pfäffli vom Gastgewerbeverband Gastro Zürich. «Viele Gastronomen kämpfen ums Überleben. Sie setzen ihre Ersparnisse ein, die eigentlich ihre Altersvorsorge wären. Viele sind verzweifelt.» Trotz offener Aussenbereiche bleibe die Situation angespannt: Nicht alle könnten draussen genügend Umsatz machen. Überdies sei man vom Wetter abhängig. Den oft gehörten Vorwurf, viele Betriebe, die jetzt ans Limit kämen, hätten schon vor der Pandemie nicht rentiert, lässt Pfäffli, der selber viele Jahre gewirtet hat, nicht gelten. «Die meisten Restaurantbetreiber sind es gewohnt, mit wenig Geld und viel Unsicherheit zu leben. Aber was jetzt passiert, ist unzumutbar.»

Simone Busch bedient wieder Gäste. Mit Maske und Distanz zwar, aber zufrieden, dass es endlich weitergeht. «Erst jetzt merke ich, wie schlecht es mir ging und wie froh ich um Bernhard Jungen bin», resümiert die Wirtin. Der Kontakt zu ihm habe schon vor der Krise bestanden. Zum Glück, denn sie hätte von sich aus nie das Gespräch mit einem Seelsorger gesucht. «Gastroleute sind stark und müssen vieles allein schaffen. Umso mehr tut es gut, wenn jemand da ist und zuhört.» 

Bernhard Jungen: Unfassbar – Wie die Basler Gastronomie der Krise trotzt. Reinhardt Verlag, Mai 2021