Recherche 09. November 2022, von Felix Reich

Kirche will keine Spielverderberin sein

Sport

EKS-Präsidentin Rita Famos hat nichts gegen Sport im Advent. Und Andreas Mösli vom FC Winterthur nervt die Doppelmoral, wenn es um die WM in Katar geht.

Von einem «Ausverkauf von Werten» spricht Thorsten Latzel mit Blick auf die Weltmeisterschaft in Katar. Der Theologe ist Sportbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die eine Broschüre publizierte, die sich kritisch mit der WM auseinandersetzt.

Die EKD ruft die Kirchgemeinden dazu auf, die «Menschenrechtsverletzungen und ökologische Verantwortungslosigkeit» auch dann noch zu thematisieren, wenn die Show begonnen hat und die Freude über den Sieg der eigenen Mannschaft die moralischen Bedenken in den Hintergrund drängt. Latzel betont zudem, dass die WM im «Advent als Zeit der geistlichen Einkehr und Umkehr» stattfindet. «Das passt überhaupt nicht.» Am vierten Advent wird der Final gespielt.

Konkurrenz im Advent

Die vom Fussball gestörte Adventsstimmung ist für Rita Famos kein Argument gegen die WM. «Skirennen schauen wir ja auch», sagt die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS). Allerdings werde sie ihre persönlichen Prioritäten anders setzen. «Zahlreiche Spiele werde ich verpassen, weil ich im Advent viel in Kirchen unterwegs bin.»

Dennoch kritisiert Famos die Vergabe der WM an Katar scharf. «Die Menschenrechtslage ist in diesem Land katastrophal, der Energieverbrauch für diese Veranstaltung enorm.» Die Fifa müsse endlich Minimalstandards festlegen und ihrem Versprechen nachkommen, mit dem Fussball positive Veränderungen anzustossen.

Menschenrechtstag als Kontermöglichkeit

Die Broschüre der EKD schlägt Kirchgemeinden auch vor, ein Public Viewing anzubieten, «bei dem es in der Halbzeitpause einen Impuls zu Fairness, zu den Herausforderungen in Katar oder sogar eine Schweigeminute für die vielen verstorbenen Arbeitsmigranten gibt». 

Famos ist skeptisch gegenüber solchen «ethisch begleiteten Spielen». Public Viewings könnten andere Anbieter besser. «Und zu belehren brauchen wir unsere Mitglieder nicht.» Vielleicht könnten Kirch­gemeinden am Menschenrechtstag vom 10. Dezember aber einen Kon­trapunkt setzen. «Es ist schon wichtig, dass die Schattenseiten des Turniers nicht im Jubel untergehen.»

Die Empörungsmaschine

Einer, der im Fussballgeschäft arbeitet und zugleich Werte wie Toleranz und Diversität hochhält, ist Andreas Mösli. Der Kommunikati­onschef des FC Winterthur freut sich wegen der Situation in Katar nicht wirklich auf die WM, mit der Schweizer Mannschaft fiebert er trotzdem mit. «Ganz ohne schlechtes Gewissen, weil ich die WM ja nicht an Katar vergeben habe.» 

Mösli kritisiert, dass beim Fussball strengere moralische Massstäbe angelegt würden als bei anderen Wirtschaftszweigen. «Viele Firmen und Staaten handeln mit Katar, und niemand empört sich.» Er hat den Verdacht, dass «die Empörungsmaschine» nur deshalb so hochtourig läuft, weil die WM im europäischen Winter und in einem arabischen Land stattfindet. «Darin zeigt sich ein eurozentristischer Blick.»

Die dunkle Seite des Fussballs

Auch Famos sieht die Gefahr der Doppelmoral. Auf die dunklen Seiten des Fussballs hinzuweisen und die Freude am Spiel zu bewahren, sei eine Gratwanderung.