Und was empfinden Sie an diesem Weg als «besser»?
Im säkularen
Humanismus wird der Mensch primär als vernunftgesteuertes Wesen angesehen, das
Informationen braucht. Die Religion sieht den Menschen eher als
emotionsgesteuertes Wesen, das Hilfe braucht. Und Letzteres scheint mir nach
intensiver beidseitiger Auseinandersetzung mit dem Thema die realitätsnähere,
nützlichere Perspektive zu sein.
Warum realitätsnäher und nützlicher?
Ich meine,
dass sich für alle Menschen zentral die Frage stellt, wie sie mit den
Schwierigkeiten des Lebens fertigwerden. Auch wenn wir im wohlhabenden und
behüteten Westen es manchmal vergessen: Diese herausfordernde Frage wird früher
oder später für jeden Menschen ins Zentrum rücken, und für viele Menschen war
und ist sie ständig im Zentrum. Daher ist dieser Fokus näher an der Realität.
Und er ist nützlicher, da er dazu anstiftet, wahrlich Bedeutendes und zutiefst
Wertvolles zu schaffen.
Wie wichtig ist Ihnen Wahrheit heute?
Machen wir es
uns etwas schwieriger und fragen: Ist mir Wahrheit oder Wohlergehen wichtiger?
Ich bin aktuell auf dem Stand, dass mir Wohlergehen wichtiger ist, als
übergeordnetes Ziel. Wahrheit ist aber in vielerlei Hinsicht eine Grundbedingung
für Wohlergehen. Wer sein Leben auf Unwahrheit aufbaut, baut sein Haus auf
Sand.
Vielleicht
ist es so: Unser Streben nach Wahrheit sollte demütig sein und im Dienste des
Wohlergehens stehen. Die Bibel warnt zu Recht vor einem arroganten, ziellosen
und destruktiven Verstand. Nur sollte uns das nicht dazu verleiten, unseren
Verstand nicht mehr zu benutzen, nicht mehr kritisch nachzudenken, uns naiv die
Welt schönzureden und unangenehme Wahrheiten zu verleugnen. Wir sollten nicht
vergessen, dass wir beim Wahrheitsstreben kurzfristige Wohlergehens-Einbussen
in Kauf nehmen sollten – dem langfristigen Wohlergehen zuliebe.
Die Bibel sei nichts weiter als ein «unbegründeter
Behauptungskatalog» ist eine frühere Aussage von Ihnen. Wie stehen Sie heute dazu?
Dass sie
«nichts weiter» als das sei, war eigentlich nie meine Ansicht. Ob die
Behauptungen der Bibel unbegründet sind, hängt davon ab, wie man sie versteht.
Und in dieser Hinsicht hat sich bei mir einiges geändert. Ich habe viele
Behauptungen neu entdeckt und erkannt, dass an ihnen mehr dran ist, als ich
gedacht hatte – besonders, was die menschliche Natur und sinnvolles Handeln als
Mensch angeht. Gibt es auch unbegründete oder falsche Behauptungen in der
Bibel? Das kann schon sein. Mein Fokus liegt jetzt allerdings darauf, ihr
möglichst viel Gutes abzugewinnen, und davon gibt es eine ganze Menge.
Nennen Sie ein paar Beispiele von diesem Guten!
Die Bibel legt den Fokus darauf, dass wir
vor unserer eigenen Tür kehren und uns einerseits als Kinder Gottes sehen –
also als Wesen, die Wundervolles in die Welt bringen können – und andererseits
unsere Unvollkommenheit im Blick behalten und danach streben, unser Potential
immer mehr zu entfalten. Das finde ich eine sehr gesunde Haltung. Die Bibel
sagt uns auch, dass uns das Höchste als Ideal und Ziel dienen sollte und dass
wir nie der Illusion erliegen sollten, irgendetwas unter der Sonne stehe auf
einer Stufe damit – das wäre gefährlich. Und sie sagt, dass wir mit dem Kern
des Seins Frieden schliessen müssen, um das Leben meistern zu können, und
dennoch auch mit ihm ringen dürfen. Das sind einige der Dinge, die ich erst
jetzt so wirklich in der Bibel erkannt habe und die meiner Ansicht von enormem
Wert sind.