Was hat die biblische Weihnachtsgeschichte mit Träumen zu tun? Mehr, als man meinen könnte. Ein Engel erklärt Josef im Traum, weshalb Maria ohne sein Zutun schwanger geworden ist. Ein Engel erscheint den träumenden Sterndeutern und weist sie an, nicht zum ränkevollen König Herodes zurückzukehren. Josef träumt von einem Engel, der ihn auffordert, mit Jesus und Maria nach Ägypten zu fliehen, und später von einem Engel, der ihm sagt, dass die Familie nun wieder in ihre Heimat zurückkehren könne.
Träume haben in der Bibel eine wichtige Bedeutung: Durch sie offenbart Gott seine Pläne und seinen Willen. «Wenn jemand unter euch ein Prophet ist, gebe ich mich ihm als der Herr zu erkennen in einer Erscheinung, rede mit ihm im Traum», spricht Gott im 4. Buch Mose.
Erzvater Jakob träumt an heiliger Stätte den berühmten Traum von der Himmelsleiter, sein Sohn Josef deutet die Träume des ägyptischen Königs und bewahrt so die Bevölkerung vor einer Hungersnot.Kunterbunt und schrecklich.
Träume haben in ihrer Irrationalität und bunten Wirrheit, aber auch ihrem Schrecken und Grauen viel von ihrer geheimnisvollen, ja spirituellen Aura beibehalten, trotz aller modernen Psychologie und Rationalität. In ihnen sind wir gefeierte Pianisten und mächtige Königinnen, Verfolgte, durch die Luft Schwimmende und von Hunden Gehetzte – wie es dem Traum gerade einfällt.
«Es sind eben Träume. Sie haben ihre eigenen Gewohnheiten. Sie kommen, wann sie wollen, und sie zeigen, was sie wollen», schreibt die russische Schriftstellerin Lydia Tschukowskaja.
Das macht vielleicht gerade ihren besonderen Reiz aus. Allerdings will es wiederum nicht so recht in die heutige, rationale Zeit passen, einem Phänomen ausgeliefert zu sein, das sich nicht steuern lässt.
Und überhaupt: Wer würde nicht gerne selber bestimmen, was in der kommenden Nacht auf dem Traumprogramm stehen soll? Und einem schönen Traum jene Wendung geben, die man sich wünscht? Unmöglich? Keineswegs.
Plastisch und beeinflussbar. Wer im Netz den Suchbegriff «luzides Träumen» eingibt, kommt auf 56'300 Treffer. Und findet Theoretisches wie: dass es sich um extrem plastische, nächtliche Träume handelt, in denen der Träumende weiss, dass er gerade träumt. Und Praktisches: wo in unzähligen Videos erklärt wird, wie man als Newcomer in kürzester Zeit ein erfolgreicher Klarträumer wird.
Warum also, fragen Sie sich vielleicht, habe ich bisher nichts von dieser Bewegung gehört? Warum sollte ich lernen, luzid zu träumen? Muss ich nun auch noch im Schlaf etwas leisten? Und gibt es nicht schon genug esoterische Spielereien?
Spielerisch und wissenschaftlich. Natürlich hat luzides Träumen etwas Spielerisches – in einschlägigen Foren berichten sogenannte «Oneironauten» davon, wie sie durch Raum und Zeit fliegen, unbekannte Speisen geniessen oder mit grossen Persönlichkeiten plaudern, wie sie durch Wände gehen oder Monster verprügeln – aber eine Spielerei ist es keineswegs.
Der «Klartraum» ist wissenschaftlich erforscht und dokumentiert. Pioniere der modernen Klartraumforschung sind etwa der deutsche Wissenschaftler Paul Tholey und der US-amerikanische Psychologe Stephen LaBerge. Das Phänomen ist aber keineswegs neu. Bereits in der Antike wurden Klarträume beschrieben, und im Buddhismus gibt es alte Yogatechniken, die das luzide Träumen fördern sollen.
Lern- und anwendbar. Die Basler Medizinstudentin Tamara Fingerlin beschäftigt sich seit Jahren mit der Traumtechnik. Sie betont, es sei kein geheimes Wissen, das nur begabten Insidern zugänglich sei. «Wer will, kann es lernen. Auch ich war kein Naturtalent und musste viel trainieren. Aber man gewinnt viel, wenn man seinen Träumen nicht mehr machtlos ausgeliefert ist.»
Sie erklärt: Mit gezielten Übungen kann man lernen, den Zustand bewusst auszulösen. Es wird möglich, die Umgebung, die Personen, die Handlung und den eigenen Körper willentlich zu steuern. Das Bewusstsein ist nicht getrübt, das heisst, man ist sich im Klaren, wer und was man im Wachleben ist.
Geübte Klarträumer können auch die Perspektive frei wählen, also entscheiden, ob sie den Traum aus der Ich-Perspektive oder als dritte Person, also aus der Vogelperspektive, erleben wollen.
Grundsätzlich braucht es eine ausreichende Menge Schlaf. Klarträume treten vorzugsweise in den REM-Phasen des Schlafes auf. Je länger man schläft, desto mehr REM-Phasen gibt es, und desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines luziden Traumes. Unumgänglich ist es, ein Traumtagebuch zu führen; das hilft, die Trauminhalte bewusster wahrzunehmen.
Ein weiteres wichtiges Element beim Erlernen des luziden Träumens sind die sogenannten Reality Checks. Dazu sagt Tamara Fingerlin: «Einer der Reality-Checks funktioniert zum Beispiel so, dass man mehrmals täglich im Wachzustand die Finger zählt. Wer das oft genug macht, kann im Traum dann den Test ebenfalls durchführen. Wer bei diesem Check nicht auf fünf Finger kommt, der träumt mit grösster Wahrscheinlichkeit.»
Kreativ und lustvoll. Und was bringt denn nun diese aktive Art des Träumens? Dazu die Fachfrau: «Unter anderem viel Spass. Es ist unglaublich spannend, träumend Fähigkeiten zu haben, die man im Wachzustand nicht hat. Wie fliegen oder durch die Wand gehen. Ich kann mich auch mit interessanten Menschen unterhalten. Und es ist ein Mittel zur kreativen Problemlösung, weil man im Traum freier assoziieren kann. Sportler nützen den Klartraum, um sich Bewegungsabläufe einzuprägen. Und nach einer Nacht mit luziden Träumen fühlt man sich frisch und erholt.»
(Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».)