Historisch war der Besuch des Papstes in der Waldenserkirche in Turin am 22. Juni allemal. Erstmals in der Geschichte der 800-jährigen reformierten Minderheitskirche in Italien kam es dazu. Doch die Begegnung mit dem Heiligen Vater war an Nüchternheit und Zurückhaltung nicht zu übertreffen. Der Präsident des Konsistoriums der Turiner Gemeinde erwähnte den Papst in seinen Eröffnungsworten nicht einmal. Stattdessen hiess er alle «Brüder und Schwestern» willkommen, «die uns in diesem Moment nicht alleine lassen». Der Ortspfarrer sprach das Oberhaupt der Katholiken schlicht mit «lieber Bruder Francesco» an. Erst der Leiter der Waldenserkirche, Moderator Eugenio Bernardini, nahm den Titel «Papst Franziskus» in den Mund.
Leidvolle Geschichte. Bernardini wies in seiner Rede auf die Unterdrückung der Waldenser hin. «Dabei wollten wir nichts anderes als eine christliche Gemeinde sein und dem Wort Gottes dienen», erklärte er. Trotz Annäherung unterliess es der Moderator nicht, den Papst auf kritische Punkte in der Ökumene hinzuweisen. Dass die reformierte Kirche nur eine «christliche Gemeinschaft ist, haben wir nie verstanden», sagte Bernardini. Er rief das Kirchenoberhaupt auf, die reformierten Kirchen bis zum Reformationsjubiläum 2017 als «Kirchen Jesu Christi» anzuerkennen. Auch die Unmöglichkeit, das Abendmahl und die Eucharistie gemeinsam zu feiern, belaste die Beziehungen. «Jesus Christus offeriert uns Brot und Wein und nicht unsere unterschiedlichen Interpretationen.»
Wichtige Worte. Franziskus liess die Rede des Waldenser Moderators nicht unberührt. «Ich bitte euch vonseiten der katholischen Kirche um Vergebung für all jene unchristlichen, ja unmenschlichen Handlungen und Einstellungen, die wir in der Geschichte gegen euch gerichtet haben», sagte das Kirchenoberhaupt. Franziskus betonte in seiner Ansprache die «Gemeinschaft auf dem Weg» und gab der Hoffnung Ausdruck, «dass sich neue Wege der Brüderlichkeit eröffnen».
Die Bitte des Papstes um Vergebung habe die Waldenser zutiefst berührt, meint Moderator Bernardini. «Die Geschichte kann zwar nicht geändert werden, doch gewisse Worte müssen in einer bestimmten Situation gesagt werden und der Papst hatte den Mut und die Sensibilität, das Richtige zu sagen.»
Für Kardinal Kurt Koch, den Ökumeneverantwortlichen im Vatikan, steht die Begegnung mit den Waldensern auch im Zusammenhang mit dem Empfang einer tschechischen Delegation anlässlich des 600. Todestages des Vorreformators Jan Hus Mitte Juni. «Beide Gesten sind schöne Zeugnisse der ökumenischen Offenheit von Papst Franziskus und seiner Bereitschaft zur Versöhnung», sagt Koch. Wenn der jetzige Papst auch eigene Akzente setze, seien diese Begegnungen auf dem Hintergrund der Enzyklika «Ut unum sint» über die Ökumene von Papst Johannes Paul II. zu verstehen.
Langer Weg. Die Bündner Kirche pflegt seit Jahrhunderten einen Austausch mit den Waldensern. Jörg Wuttge, Abgeordneter der Bündner Landeskirche im Deutschschweizer Waldenserkomitee, wertet die Worte des Papstes als mutiges Zeichen der Annäherung. «Er schlägt einen anderen Ton an gegenüber Minderheiten und will, dass sich die Kirche bewegt.» In Italien selber stehe den Waldensern aber noch ein langer Weg bevor. Denn noch immer nimmt ein Grossteil der Bevölkerung sie nicht als Kirche, sondern als Sekte wahr.
Als «ehrliche» Geste wertet die für auswärtige Beziehungen zuständige Kirchenrätin, Miriam Neubert, die Worte des Kirchenoberhauptes. Bedauerlich sei trotzdem, dass der Papst die Waldenser nicht als Kirche, sondern nur als Gemeinschaft bezeichnet habe. «Es wäre jetzt an der Zeit, auch das Vokabular endlich anzupassen.»