Tobias Zehnder, in Ihrer Stellungnahme fordern Sie die Gleichstellung für homosexuellen Partnerschaften und daraus entstehende Familienformen. Warum?
Tobias Zehnder: Weil die unterschiedlichsten Familienkonstellationen und Lebensformen längst gesellschaftliche Realtiät sind und die Kirche immer noch nicht klar Stellung bezieht. Wir fordern, dass die Diskriminierungen auf qualitativer und begrifflicher Ebene endlich aufhören. Die Unterscheidung von Trauung und Segnung beispielsweise ist ein Unding. Beides ist der Segen Gottes. Wer so unterscheidet, wertet. In der Landeskirche scheint man nicht sehr motiviert zu sein, das Thema Homoehe aufzugreifen. Ein häufig gehörtes Argument ist: Solange sich die zivilrechtliche Situation nicht ändert, müsse man auch in der Kirche nicht darüber diskutieren. Wir aber finden, doch, man muss jetzt darüber diskutieren.
Marc Jost, wie sehen Sie es als Vertreter der Freikirchen?
Marc Jost: Ich finde, man muss unterscheiden zwischen der theologischen und der gesellschaftspolititschen Debatte. Als Polititker bin ich der Meinung, dass es Sinn macht, die Ehe, die Partnerschaft zwischen Frau und Mann als ideale Gemeinschaft zu privilegieren. In Bezug auf die Kinder ist es ein Mehrwert, wenn sie Bezugspersonen unterschiedlichen Geschlechts gegenüberstehen.
Tobias Zehnder: Das mag sein, aber Rollenvorbilder des anderen Geschlechts finden Kinder auch ausserhalb der Familie. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäss, das Modell Vater-Mutter-Kind als die einzig richtige Lebensform zu postulieren. Dabei bleiben zu viele Menschen aussen vor, und die Kirche kann ihrem Auftrag zur Nächstenliebe nicht gerecht werden.
Marc Jost: Ich möchte auch noch auf die theologische Begründung in Ihrer Stellungnahme eingehen, auch dagegen habe ich grosse Vorbehalte. Das biblische Gesamtzeugnis hat aus meiner Sicht eine klare Aussage: Gleichgeschlechtliche sexuelle Partnerschaften werden nirgends in der Bibel positiv gewertet. Im Gegenteil. Insofern scheinen mir ihre Forderungen auch biblisch-theologisch äusserst fragwürdig.
Tobias Zehnder: Natürlich gibt es immer verschiedene Möglichkeiten, die Bibel auszulegen. Und ich erhebe keineswegs einen Absolutheitsanspruch. Es stimmt, dass in biblischen Texten der Beziehung zwischen Mann und Frau viel Wertschätzung entgegengebracht wird. Daraus aber den Umkehrschluss zu ziehen, intime Beziehungen von Gleichgeschlechtlichen seien verwerflich, finde ich falsch. In den vermeintlich kritischen Bibelstellen geht es zudem nur um den sexuellen Akt. Dabei geht es doch auch um dauerhafte, verlässliche Beziehungen.
Das Thema ist emotional stark aufgeladen. Wer zur Homoehe Bedenken oder Ängste formuliert, wird rasch als homophob abgetan.
Marc Jost: Meine Erfahrung ist tatsächlich die, dass, wer wie ich, sexualethisch auf der konservativen Seite steht, rasch verdächtigt wird, lieblos zu handeln und die Würde des Menschen nicht zu respektieren. Ich bin de facto in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen. Mein Vater lebt in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, und ich setze mich seit Jahren mit dem Thema auseinander. Unsere sexualethische Haltung könnte unterschiedlicher nicht sein, und dennoch haben mein Vater und ich eine enge und gute Beziehung. Ich stelle mich dem Gespräch deshalb, weil ich finde, wir müssen lernen, mit derartigen Spannungen konstruktiv umzugehen.
Bei der letzten Volksabstimmung zur Abschaffung der Heiratsstrafe wurde die Homoehe in der Verfassung nicht ausgeschlossen. Und eben haben sich der National- und Ständerat für eine Öffnung des Adoptionsrechts ausgesprochen. Ist das für Sie eine Bedrohung?
Marc Jost: Nein, ich glaube, bei der Homoehe geht es auch stark um eine symbolische Debatte. Und bei der Debatte ums Adoptionsrecht geht es nicht primär um das Wohl des Kindes, sondern um den Wunsch, um jeden Preis ein Kind zu haben. Diese Liberalisierung befürworte ich nicht, und deswegen bin ich auch gegen die Öffnung des Adoptionsrechts. Die Kirche soll offen sein für alle Menschen. Aber eine Trauung für Homosexuelle ist nicht angebracht. Das lässt sich mit der Bibel in keiner Art und Weise begründen.
Tobias Zehnder: Unsere Absicht ist, dass wir in der Kirche Lösungen finden, wie die bereits gelebte Beziehungsvielfalt gesellschaftlich anerkannt wird. Gerade aus christlich-biblischer Sicht müssen wir als Kirchenvertreter diese Forderung stellen. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt.