Thomas Keller, woher kommt Ihre Passion für den Film?
Als Jugendlicher ging ich oft ins Kino, schon damals faszinierte mich das Ambiente. Meine ersten Filme sah ich im Kino Landquart, italienische Spaghettiwestern. Sie liefen am Sonntagnachmittag für die italienischen Gastarbeiter. Wir verstanden zwar nichts, aber uns genügte die Bildsprache. Ich gehe auch am liebsten allein ins Kino, dann kann ich mich hundertprozentig mit dem Film auseinandersetzen. An einen Kinobesuch am Filmfestival in Venedig erinnere ich mich besonders. Alle rauchten. Der Lichtkegel des Projektors war so vernebelt, dass man kaum die Leinwand sah. Dennoch sassen alle wie gebannt in ihren Stühlen. Kino verzaubert. Im Kino tauche ich in den Film ein. Kino löst Emotionen aus. Wer weint schon vor dem Fernseher.
Die Weltfilmtage gibt es seit 26 Jahren. Worauf freuen Sie sich dieses Jahr besonders?
Als wir die Weltfilmtage gründeten, zeigten wir Xavier Kollers oscarprämiertes Drama «Reise der Hoffnung». Der Film hat an Aktualität leider nichts verloren, weshalb wir die neu restaurierte Fassung nun zum zweiten Mal im Programm haben. Erwartet wird auch der Filmemacher selber. Besonders freut mich auch die Teilnahme von Ken Bugul, einer Schriftstellerin aus dem Senegal mit abenteuerlicher Biografie. Sie setzt sich ein für die Gleichberechtigung der Frau und gegen die Zensur.
Wie hat alles angefangen?
Der Auslöser war das Fest der Solidarität 1991, anlässlich des Jubiläums 700 Jahre Eidgenossenschaft. Chasper Pult, damals Vertreter der Pro Helvetia, lernte Marco Solari, den damaligen Präsidenten der Filmfestspiele in Locarno, kennen. Die Gespräche inspirierten Pult. Zurück in Thusis, schlug er uns vom Kino Rätia voller Begeisterung vor, ein Filmfest in Thusis zu lancieren.
Ist es schwierig, an die Filme ranzukommen?
Früher schon. Filme aus dem Süden und dem Osten der Welt gab es praktisch keine. Früher reisten wir auch selber ins Ausland, zum Beispiel nach Burkina Faso ans FESPACO. Das ist das grösste afrikanische Filmfestival. Hier entdeckte ich eine komplett neue Filmwelt. Heute werden wir überhäuft mit Anfragen von ausländischen Filmverleihern und müssen viele Filme abwehren. Die Filme importieren wir hauptsächlich von Schweizer, aber auch internationalen Filmverleihern. Ausserdem besuchen wir die Festivals in Locarno, Innsbruck, Freiburg und Berlin.
Welche Kriterien müssen die Filme erfüllen, damit sie ins Programm kommen?
Wir wollen Filme aus möglichst allen Ländern der Welt. Regisseuren, die sonst keine Möglichkeit haben, einen Film zu
zeigen, bieten wir eine Plattform. Deshalb sieht man an den Weltfilmtagen Filme, die sonst nur an internationalen und nationalen Festivals gezeigt werden.
Was zeichnet die Weltfilmtage sonst noch aus?
Wir sind ein Gegenpol zu den grossen Festivals. Hier findet alles an einem Ort, im Kino Rätia statt. Das gibt dem ganzen eine familiäre Atmosphäre. Alle Filme zeigen wir in der Originalsprache. Dies als Ausdruck des Respektes gegenüber den Filmschaffenden. Ein südkoreanischer Film, deutsch synchronisiert, ist unmöglich zu geniessen. Für die internationalen Filme haben wir einen Untertitler engagiert. Filmschaffenden ausserhalb des Mainstream wollen wir zu einem Selbstbewusstsein verhelfen, denn ihre Filme sind oft Perlen, die uns sonst vorenthalten bleiben. Das ist mit ein Grund, weshalb jedes Jahr rund 3500 Filmeintritte vermelden können. Menschen aus der ganzen Schweiz reservieren sich jährlich die Kalenderwoche 44 für die Weltfilmtage.
Es gibt Stimmen, die sagen, an den Weltfilmtagen käme die Jugend zu kurz und es würden vor allem Problemfilme gezeigt.
Das sind Vorurteile. Schauen Sie sich das Programm an: Von der Komödie über den Dokumentarfilm bis zum Drama ist alles dabei. Wir vertreten auch keine politische Richtlinie. Ein Jugendprogramm haben wir im ordentlichen Kinobetrieb mehrmals angeboten, auch unter Mitbeteiligung der Jugendlichen. Allerdings gelang es uns trotzdem nicht, die Jugendlichen ins Kino zu locken. Jugendliche reagieren spontan. Fünf Minuten vor Kinostart entscheiden sie sich doch noch für die Party von Freunden oder fahren lieber in den Kinokomplex in Hohenems. Das ist keine Wertung, das ist Realität.
Welches Publikum sprechen sie denn an?
Wir wollen alle ansprechen, die Lust haben, Neues zu entdecken.
Was ist für Sie ein guter Film?
Ein Film muss etwas aussagen, hervorragende Schauspieler und eine stimmige Bildsprache haben. Die Kameraführung ist wichtig, dazu ein guter Filmschnitt und der Film ist perfekt. Experimente mit Handykameras sagen mir nichts.
Ihr Lieblingsfilm?
Natürlich gibt es nicht DEN Lieblingsfilm, ich habe hundert. Aber einer meiner Favoriten ist sicher «Nuovo Cinema Paradiso» mit Philippe Noiret. Der Film zeigt, welche Magie die Kinoleinwand auf die Menschen ausübt.