Recherche 14. November 2023, von Felix Reich

Ein Gleichnis gegen den Hass

Kultur

Ein Pub ist die letzte Bastion der Nostalgiker in einem englischen Provinznest. Sie fällt, als Menschen aus Syrien eintreffen. «The Old Oak» erzählt eine biblische Geschichte.

Yara (Ebla Mari) sitzt in der Kathedrale. Ein Chor singt «Dona nobis pacem». Mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern gelang ihr die Flucht vor dem Krieg in Syrien in ein englisches Provinznest. Die Spuren ihres Vaters haben sich verloren, seit ihn die Schergen des despotischen Präsidenten Baschar al-Assad aufgriffen. Zuletzt wurde der Schneider im Foltergefängnis gesehen.

Der rote Romantiker

Neben Yara sitzt TJ Ballantyne (Dave Turner) in der Kirchenbank. Er mied die Kirche, seit sein Vater bei einem Grubenunglück umkam. Die Tradition der Kumpels, die aufeinander achten tief unter der Erde, ist ebenfalls gestorben. Der Zusammenhalt im Streik sowieso. Die Erinnerung an die Gottesdienste, in denen für die Arbeiter gebetet wurde, ist längst verblasst.

Natürlich heroisiert der rote Romantiker Ken Loach in seinem Film «The Old Oak» die gute alte Zeit der Kohlegruben. Doch was dem Autor nicht gelungen war, schafft die Erzählung: Diese beschreibt die Menschen im Dorf unabhängig von ihrer Herkunft als eine liebesbedürftige Gemeinschaft und entgeht der Dichotomiefalle.

Zwanghafte Kritik

Ken Loach selbst hat sich in seinem Trotzkismus verrannt, der durchsetzt ist mit zwanghafter Israelkritik, die streckenweise in einen unverhohlenen Antisemitismus kippt. Lautstark prangert er die Rockband Radiohead an, weil sie sich einer militanten Minderheit ihrer Fanbasis widersetzte und in Israel auftrat. Der Filmemacher hat sich der BDS-Bewegung angeschlossen, die einen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott der einzigen Demokratie im Nahen Osten fordert.

Aus der Labour-Partei wurde Loach vor zwei Jahren ausgeschlossen, in die er nach der Reformphase unter Tony Blair zurückgekehrt war. Loach hatte sich geweigert, zu jenen Politikern auf Distanz zu gehen, denen Judenhass vorgeworfen wurde und die der Labour-Chef Keir Starner in einer überfälligen Aufräumaktion gegen Antisemitismus endlich vor die Tür gesetzt hatte.

Argumentative Purzelbäume

Wahrscheinlich erkannte Loach in den linken Antisemiten Geistesverwandte. Denn er selbst hat sogar schon davon geschwurbelt, dass «Geschichte diskutiert werden müsse», nachdem er auf mögliche Holocaustleugner in der Labour-Partei angesprochen worden war. Und einmal verstieg er sich zur Aussage, nichts habe den Antisemitismus so angestachelt wie «der selbsternannte jüdische Staat selbst».

Loachs argumentative Purzelbäume sind ein Lehrstück, wie schlecht sich linker Antisemitismus als ätzende Israelkritik tarnt.

Medizin gegen die Ideologie

Der neuste Film des Regisseurs hingegen zeigt, dass die Erzählung eine wirksame Medizin ist gegen die Krankheit der Ideologie. Als im heruntergekommenen Pub ein Mittagstisch entsteht, der Zusammenhalt stiftet und das Dorfleben neu belebt, den Kriegsvertriebenen ein Hauch Heimat bietet und einheimischen Schulkindern warme Mahlzeiten beschert, fürchten Ballantynes Stammgäste, dass nun ihre letzte Bastion der Arbeiterromantik fällt.

Nun dekliniert Loach die grossen Themen durch: Liebe, Hass, Zusammenhalt und Verrat. Während sich Yaras jüngerer Bruder Kriegsvideos aus Aleppo anschaut, scrollt der Wirt durch die Hasskommentare in den sozialen Medien gegen sein Gutmenschen-Pub.

Die öbszöne Hoffnung

Eine Freundin von ihr habe gesagt, Hoffnung sei obszön, sagt Yara in die Stille der Kathedrale. «Vielleicht hat sie recht, doch ohne Hoffnung hört mein Herz auf zu schlagen.» «The Old Oak» ist eigentlich eine Parabel zu dieser Hoffnung. Den Eindruck verstärkt Loach, indem er inhaltlich harte Schnitte verwendet, welche die Erzählung in Kapitel einteilen. Wirken die Dialoge im Pub zu Beginn noch etwas hölzern, prägt insbesondere die überzeugende Leistung der aus den Golanhöhen stammenden Schauspielerin Ebla Mari die Geschichte.

Der Film erzählt von jenem Mitgefühl, das in einer Gemeinschaft, in der sich alle als fremd und bedürftig begreifen und sich deshalb gegenseitig unterstützen, Grenzen zu überwinden vermag. Es ist die gleiche Gemeinschaft, von der auch das Evangelium erzählt.