Recherche 14. September 2020, von Cornelia Krause

Kirche reagiert auf Tief bei Hochzeiten

Kasualien

Immer weniger Paare geben sich in der Kirche das «Ja»-Wort. Viele setzen auf Ritualbegleiter. Ein Kasualien-Pfarramt soll künftig besser auf Wünsche von Paaren eingehen können.

Die Braut im spitzenbesetzten weissen Kleid, die Schriftlesung aus dem Hohelied Salomos, der Tausch der Ringe vor dem Altar der St George’s Chapel: Millionen von Zuschauern weltweit verfolgten 2018 die Trauung von Meghan Markle und Prinz Harry live im Fernsehen. Vor Ort haben Hochzeiten in der Kirche dagegen Seltenheitswert, zumindest in der Schweiz: Die Zahl der kirchlichen Trauungen schwindet seit Jahren, bei weitgehend stabilen zivilen Eheschliessungen.

Ein Drittel in vier Jahren

Jüngst hat sich der Rückgang akzentuiert. In der reformierten Kirche des Kantons Zürich nahmen die Trauungen zwischen 2015 und 2019 um gut ein Drittel ab, im vergangenen Jahr zog es nur 462 Paare in die Kirche. Allein mit dem Mitgliederschwund lässt sich die Entwicklung nicht erklären, wenngleich sie einen Einfluss habe, wie Kirchenrat Andrea Bianca sagt: «Im heiratsfähigen Alter haben wir nun vermehrt eine Generation, die nie Mitglied war, weil bereits ihre Eltern ausgetreten sind.»

Hinzu kommt, dass sich Ritualbegleiter in den letzten 20 Jahren fest etabliert haben, teils stammen sie gar aus dem kirchlichen Umfeld. Sie sind zur Alternative zu Pfarrer oder Pfarrerin geworden, indem sie das «Ja»-Wort mit Ansprache und ritueller Handlung begleiten. Hinzu kommt: Viele Paare haben den Wunsch, an einem für sie besonderen Ort zu heiraten. «Location First», nennt das Bianca, der selbst in Küsnacht ein Pfarramt innehat. Die Kirchenordnung sieht primär die Kirche als Ort der Trauung vor, obwohl schon heute viele kirchliche Trauungen ausserhalb des Kirchenraumes stattfinden. Doch immer noch gebe es Pfarrpersonen, die Paare abwiesen, weil sie die lange Anreise oder abwegige Örtlichkeiten scheuten, sagt Bianca.

Location first

Der Rückgang treibt Bianca um: «Trauungen sind eine einmalige Möglichkeit, kirchenkritische Menschen mit massgeschneiderten Gottesdiensten zu überzeugen.» Anders als bei Beerdigungen könne die Kirche hier einen unbeschwerten, freudigen Glauben vermitteln. Zentral für die Trends Location first und Ritualberatung ist oft ein starker Wunsch nach einer individuellen Feier, in der die Liebesgeschichte des Paares im Zentrum steht. In Gesprächen mit Paaren, die sich mit Blick auf eine kirchliche Hochzeit unsicher sind, erlebt Bianca, dass diese oft den Eindruck haben, ihre persönliche Gottesvorstellung passe nicht zur christlichen.

Ähnliches berichtet Susanne Kühni. Die junge Theologin hat gemeinsam mit drei Studienfreundinnen das auf Hochzeitsrituale spezialisierte Start-up «Feier & Flamme» gegründet. Die Nachfrage ist gross, das Angebot breit, es reicht von einem reformierten Gottesdienst bis hin zum Ritual mit rein weltlicher Ansprache. «Bitte nicht zu viel mit Gott», diesen Wunsch höre ich immer wieder, sagt Kühni.

Das Mitglied ist König

Im Gespräch offenbare sich dann jedoch häufig, dass sich das Paar durchaus mit Sinnfragen auseinandersetze und der Glaube an eine höhere Macht vorhanden sei. Hin und wieder verweist Kühni Paare zurück an die reformierte Kirche. Auch Bianca sagt: «Die Frage, wie viel Raum man der persönlichen gegenüber der offiziellen christlichen Gottesvorstellung einräumt, wird zum gottesdienstlichen Knackpunkt.» Er glaubt, dass die Herausforderung nur zu meistern ist, wenn Pfarrpersonen die individuelle Spiritualität des Paares bewusst erfragen und explizit in die Trauung aufnehmen, um auf diese Weise auch Menschen anzusprechen, die keinen Bezug zur Kirche haben. Der Kirchenrat will angesichts des Tiefs bei den Hochzeiten gegensteuern: In einer neuen Handreichung für Gemeinden erklärt er, weshalb Trauungen auch ausserhalb der Kirche stattfinden sollen.

Weiter ist ein Pfarramt für Kasualien in Planung. Dahinter steht ein Dienstleistungsgedanke: Es geht um eine zentrale Stelle für Mitglieder, die keinen Bezug zur Ortsgemeinde haben oder eine aussergewöhnliche Trauung möchten. Kirchenrat Bianca fordert einen Systemwechsel. «Königin ist nicht die Kirche mit ihren Vorschriften, König ist das Mitglied mit seinen Bedürfnissen», hält er fest.