Laut der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen werden 2050 9,1 Milliarden Menschen zu versorgen sein. Dafür braucht es 50 Prozent mehr Nahrung als heute. Haben Sie ein Idee, wie das zu schaffen ist?
Urs Niggli: Grob gesagt, gibt es zwei Lösungsansätze. Umweltorganisationen, Nichtregierungsorganisationen und Biobauern behaupten, dass wir theoretisch genug Nahrung produzieren können, um elf Milliarden Menschen zu versorgen. Die andere Position ist, dass wir unsere wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten noch stärker ausschöpfen müssen. Beispielsweise im Bereich innovativer Technologien.
Und wo stehen Sie persönlich in dieser Diskussion?
Die Debatte ist stark ideologisiert. Die Lösung wird eine Kombination aus unterschiedlichen Massnahmen sein. Meine Meinung ist, dass wir den Technologieoptionen gegenüber offen bleiben sollten. Wir sehen in der Wissenschaft keinen Trend, dass weltweit viel weniger Fleisch gegessen wird. Die europäischen Bewegungen und Tendenzen zu mehr Veganismus reichen niemals aus, um den globalen Trend zu korrigieren. Eine weltweite Veränderung des Ernährungsverhaltens kann bis zu 40 Jahre dauern. Deshalb sollten wir die Erkenntnisse der Wissenschaft in Fragen des Pflanzenschutzes und der Pflanzenzüchtung nutzen, um Ernährungssicherheit für die Ärmsten zu gewährleisten.
«Die Debatte ist stark ideologisiert»
Die ökumenische Fastenkampagne thematisiert den Zusammenhang von Klima und Ernährung. Agrarwissenschaftler Urs Niggli verlangt Offenheit gegenüber technologischen Optionen.
Urs Niggli, 70
Der Agrarwissenschaftler und Vordenker des biologischen Landbaus leitete das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Er ist Präsident des von ihm gegründeten Instituts für Agrarökologie, Ecology.science, und wissenschaftlicher Berater bei Agroscope. Er war Mitglied der Scientific Group des UNO-Generalsekretärs.
Sie gelten als derjenige, der die biologische Landwirtschaft wissenschaftlich voranbrachte. Sind Sie technologiefreundlicher geworden?
Die Landwirtschaft ist immer auch die Geschichte der Technologieentwicklung. Vom ersten Moment an, als ein Pflug eingesetzt wurde. Im 20. Jahrhundert erlebte sie ein enormes Wachstum, das aber auch zulasten der Umwelt ging. Die Innovationstreiber im 21. Jahrhundert sind die molekularbiologische Forschung, um Pflanzen schneller züchterisch zu verbessern, die Digitalisierung, um alle bäuerlichen Massnahmen präziser und sparsamer zu machen, und die Nanotechnologie, um zum Beispiel nützlichere Verpackungen für Nahrungsmittel herzustellen.
Was bringt es dann noch, wenn wir unser Konsumverhalten ändern?
Die Verschwendung von Lebensmitteln in den sogenannten reichen Ländern einzudämmen, würde sofort einen relativ grossen Effekt für Europa und Amerika bringen. Man bräuchte dann keine Technologie, um die Produktion zu erhöhen. 30 Prozent der Lebensmittel werden bei uns gar nie gegessen. Restaurants oder Haushalte, in denen die Teller nur zur Hälfte leer gegessen werden, machen 15 Prozent aus. Die anderen 15 Prozent werden durch Rüsten, Zubereiten und Verarbeitung von Produkten zum Convenience-Food verschwendet.
Indem wir unsere Teller leer essen, werden wir den Hunger in der Welt aber auch nicht eindämmen.Nicht direkt. Doch wir können mit einem bewussten Konsumverhalten das Klima verbessern, die Umweltverschmutzung reduzieren und den Biodiversitätsverlust mindern. Die Kampf gegen den Hunger ist eine weitere Aufgabe.
Gibt es mit Blick auf die Auswirkungen auf das Klima einen Unterschied zwischen der biologischen und der konventionellen Landwirtschaft? Ist biologisch besser?
Nein. In der Klimabelastung ist die Differenz zwischen den beiden Produktionsformen nicht gross. Ein Nachteil des Bio-Landbaus ist, dass er mehr Land braucht, weil er tiefere Erträge bringt. Das macht die hervorragende Bilanz des Bio-Landbaus wieder kaputt. Pro Hektare ist der Biolandbau bezüglich Klima günstiger, pro Tonne Lebensmittel, die er produziert, nicht.
Klimagerechtigkeit und Ernährungssicherheit sind also zwei komplexe Bereiche. Wie lassen sich die Probleme konkret lösen?
Wir müssen diese Phänomene global ansehen. Für verschiedene Probleme braucht es unterschiedliche Massnahmen. Der Austausch von Wissen mit Menschen in Krisengebieten ist ein Ansatz. Bei uns sollten wir die Tierbestände an Schweinen und Hühnern reduzieren und dadurch weniger Getreide verfüttern. Die Reduktion von Kühen hingegen ist nicht ohne Probleme machbar. Denn als Grasfresser liefern sie wertvolles Eiweiss. Weltweit haben wir 60 Prozent Land, das nur als Grasfläche zu bewirtschaften ist.
Die Fastenkampagne stellt Ernährung ins Zentrum
Ernährung und Nahrungsproduktion stehen im Mittelpunkt der Kampagne,die das reformierte Hilfswerk Heks und die katholische Fastenaktion gemeinsam verantworten. In ihren Projekten fördern die Partnerorganisationen der beiden Werke eine kleinräumige standortangespasste Landwirtschaft. Sie fassen das unter dm Begriff der Agrarökologie zusammen. Die ökumenische Kampagne, die vom 22. Februar bis Ostern (9. April) läuft, will darüberhinaus Impulse für einen schöpfungsverantwortlichen Lebensstil vermitteln.