Viele Stimmen für den Schutz konventioneller Pflanzenzucht

Landwirtschaft

Die Schweiz soll sich endlich einsetzen für das Patentverbot von konventionell gezüchteten Pflanzen, fordert eine Petition. Auch für bäuerliche Innovation sei das wichtig.

Auf dem Bundesplatz standen am 12. Dezember zwei Meter hohe Tomaten-, Brokkoli-, Gerste- und Maispflanzen – und schrien. Jedenfalls waren die Modelle entsprechend gestaltet, mit denen die Organisationen Swissaid, Public Eye, ProSpecieRara und Biorespect eine Petition einreichten. Diese fordert wirkungsvolle Schritte gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren aus konventioneller Zucht. 240'000 Menschen haben europaweit unterschrieben, 17'000 in der Schweiz.

Das klingt auf Anhieb nicht spektakulär. Doch tatsächlich seien die Zustände bei der Patentierung von Pflanzen in Europa «untragbar», sagt Simon Degelo, beim Hilfswerk Swissaid verantwortlich für Saatgut und Biodiversität. Denn das Europäische Patentamt (EPA) erteile laufend mehr Patente auf konventionell gezüchtetes Saatgut – obwohl das in Europa gemäss dem Europäischen Patentübereinkommen verboten ist.

Das älteste «Open-source-Projekt»

«Untragbar ist das, weil diese Praxis zu einer Monopolisierung des Saatguts und damit der Nahrung führt. Die Züchtung von Nutzpflanzen kann man aber als das älteste Open-source-Projekt der Menschheit ansehen», begründet Degelo die Haltung der Organisationen. Seit über 10'000 Jahren züchten Bäuerinnen und Züchter das Saatgut kontinuierlich weiter. «Dafür sind sie auf bestehende Sorten angewiesen, um daraus neue zu züchten.» 

Koalition mit Heks und Fastenaktion

Auch die kirchlichen Hilfswerke Heks/Brot für alle und Fastenaktion setzen sich mit der Schweizer Koalition Recht auf Saatgut dafür ein, dass Bauern und Bäuerinnen in Ländern des Globalen Südens die Verfügungsgewalt über das Saatgut nicht verlieren. Dabei geht es aber um Sortenschutz, eine weitere Form des geistigen Eigentums neben den Patenten. Für Bäuerinnen im Süden ist beides problematisch. Die vielfältigen, bäuerlichen Saatgutsysteme seien Garant für Ernährungssicherheit und biologische Vielfalt, betont die Koalition. Sie müssten anerkannt und langfristig gestärkt werden und dürften nicht durch Freihandelsabkommen eingeschränkt oder zerstört werden. Die Koalition engagiere sich für entsprechende politische Rahmenbedingungen, insbesondere im Bereich von Freihandelsabkommen, die die Schweiz (als Teil der EFTA) mit Ländern des globalen Südens verhandelt.
Neben den kirchlichen Hilfswerken Heks/Brot für alle und Fastenaktion bilden folgende Organisationen die Koalition: Alliance Sud, FIAN, Public Eye und Swissaid.

Zur Website der Koalition «Recht auf Saatgut».

Doch wenn nun einzelne Pflanzen oder Gene patentiert würden, stünden sie für andere Züchtungsunternehmen nicht mehr bereit, und Bäuerinnen dürfen das entsprechende Saatgut nicht mehr weitervermehren. e Simon Degelo betont weiter: «Ausserdem ist es für kleinere Züchtungsunternehmen schwierig einzuschätzen, ob eine bestimmte Sorte von einem Patent betroffen ist – dies ist nur durch eine aufwändige Patentrecherche unter Beizug von Molekularbiologen und Patentanwälten möglich.»

Trotz Verbot werden Einsprüche abgewiesen

Trotzdem hat das europäische Patentamt kürzlich Einsprüche gegen Patente auf Braugerste und Bier der Firma Carlsberg zurückgewiesen und weitere Patente auf Mais, Tomaten und Salat erteilt. Firmen wie Syngenta meldeten sogar Patente an, mit denen tausende natürlicherweise vorkommende Genvarianten beansprucht würden, sagen die Initianten der Petition.

Warum geht das überhaupt? Das EPA umgehe das Verbot von Patenten auf herkömmlich gezüchteten Pflanzen mit diversen Begründungen, sagt Degelo. «Bei der Braugerste betreffen die Patente Pflanzen, die durch Zufallsmutationen erzeugt wurden.» Diese Züchtungsmethode werde seit Jahrzehnten angewendet und trete auch natürlicherweise auf. «Trotzdem betrachtet das EPA Zufallsmutationen als Erfindungen und hat 2017 beschlossen, solche Patente auch weiterhin zu vergeben.»

Agrarkonzerne verschleiern die tatsächlich angewendete Züchtungsmethoden, um Patente auf konventionelle Sorten zu erhalten.
Simon Degelo, bei Swissaid verantwortlich für Saatgut und Biodiversität

Und nicht nur interpretiere das Patentamt die Bestimmungen aus dem Übereinkommen so, dass es die Patente trotzdem vergeben kann, ergänzt der Swissaid-Fachmann. Verschärft werde die Problematik in jüngster Zeit durch neue gentechnologische Methoden. Damit könne unter Umständen das gleiche Produkt sowohl durch neue Gentechnologie als auch durch konventionelle Züchtung erzeugt werden. «Dies nutzen Agrarkonzerne bewusst und verschleiern die tatsächlich angewendete Züchtungsmethoden, um Patente auf konventionelle Sorten zu erhalten.»

Zum Schaden von Innovation

Dieses Vorgehen mit Patenten auf genetischen Ressourcen schadet gemäss den Initiantinnen der Petition auch der Innovation. Denn der freie Zugang zu Saatgut und Vermehrungsmaterial sei elementar, damit aber die landwirtschaftliche Vielfalt bewahrt werden und fortlaufend neu entstehen könne. Deshalb fordern die Schweizer Organisationen im Rahmen der Koalition «No Patents on Seeds» (Keine Patente auf Saatgut) gemeinsam mit über 70 Organisationen und 240'000 Mitunterzeichnenden aus 18 Staaten die europäischen Regierungen dazu auf, gegen diesen offensichtlichen Missbrauch des Patentrechts vorzugehen.

Das erste Treffen ist seit über zehn Jahren fällig. Nun ist dringend Zeit, dass die Politik aktiv wird und das Patentverbot endlich durchsetzt.
Simon Degelo, bei Swissaid verantwortlich für Saatgut und Biodiversität

Die 39 Vertragsstaaten des EPA (darunter auch die Schweiz) müssten sich zu einer Konferenz treffen, um wirksame Massnahmen gegen Patente auf Pflanzen und Tiere zu ergreifen, lautet eine Forderung der Petition. Denn obwohl die Grosse Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes im April 2020 in einem historischen Grundsatzentscheid festgelegt hat, dass Pflanzen und Tiere aus «im Wesentlichen biologischen» Züchtungsverfahren nicht patentierbar seien, hält die Rechtsunsicherheit bis heute an.

Taten der Staaten notwendig

Es brauche deshalb eine klare politische Vorgabe der zuständigen Ministerien, fordern die Initiantinnen weiter. Patente auf Verfahren, die auf Kreuzung, Selektion oder zufälligen Mutationen beruhen, müssten ebenso ausgeschlossen werden wie die Ausweitung von Gentechnik-Patenten auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere.

Die geforderte Ministerkonferenz sollte gemäss Europäischem Patentübereinkommen regelmässig stattfinden, um über kritische Fragen des Patentsystems zu beraten, ergänzt Simon Degelo. Doch auch hier wird offensichtlich geschlampt: «Das erste Treffen ist seit über zehn Jahren fällig. Nun ist dringend Zeit, dass die Politik aktiv wird und das Patentverbot endlich durchsetzt.»