Recherche 31. Dezember 2020, von Rita Gianelli

Whistleblower Adam Quadroni wartet auf eine Entschuldigung

Whistleblower

Adam Quadroni aus Ramosch im Unterengadin hat geholfen, einen der grössten Baukartell-Skandale in Graubünden aufzudecken. Er verlor dadurch seine Firma und seine Familie.

Wie geht es Ihnen nach allem, was passiert ist?
Adam Quadroni: Ich existiere. Aber ich lebe nicht mehr.

Im Jahr 2006 sind Sie aus dem Bau­kartell im Engadin ausgestiegen. Warum zogen Sie einen Schlussstrich?  
Man zieht nicht nur einfach einen Schlussstrich. Gerade weil ich Teil des Systems war, versuchte ich über Jahre immer wieder im Gespräch zu einer Lösung zu kommen. Zuerst mit den Bauunternehmern, die mir daraufhin drohten und mich erpressten. Mit dem Gemeindepräsidenten, der umgehend den Kopf des Baukartells benachrichtigte. Beim Tiefbauamt Graubünden, welches mir dankte und mich boykottierte. Auch von der lokalen Zeitungsredaktorin erhielt ich nie eine Antwort. Erst als sich 2012 die Wettbewerbskommission einschaltete, musste sich die Kantonsregierung zwangsläufig damit befassen.

Es ging um geheime Preisabsprachen der Bauunternehmer. Man nannte Sie einen Verräter. 2017 wurden Sie in eine psychiatrische Klinik zwangseingeliefert, dort unverzüglich wieder entlassen. Die Polizei stufte Sie zu Unrecht als gemeingefährlich ein. Glauben Sie noch an den Rechtsstaat?  
Im Kanton Graubünden nicht mehr. Ich hoffe auf den Schweizer Rechtsstaat, nicht zuletzt weil Herr Giusep Nay, ehemaliger Bundesrichter und wichtigster Unterstützer, mich dazu ermutigt.   

Das Bündner Parlament verlangte eine Untersuchung. Der PUK-Bericht konnte kein Fehlverhalten Ihrerseits feststellen, dafür unrechtmässige Einsätze bei der Polizei. Fühlen Sie sich rehabilitiert?
Ja und Nein. Der PUK-Bericht rehabilitiert mich in allen Teilen. Für die Bündner Regierung und Behörden gelte ich weiter als Übeltäter. Mit ihrer Hilfe ist es meiner Frau gelungen, mir meine Kinder wegzunehmen. Es gab für meine Kinder keine unabhängige Instanz, bei der sie ihre Sicht darstellen durften.

Steht Ihnen niemand bei?
Doch. Die Solidarität ist gross – auch ausserhalb des Kantons. Ich erhalte viele ermutigende Briefe, Anrufe und Hilfe jeder Art. Manche halten sich zurück, weil sie fürchten, in Schwierigkeiten zu kommen. Kann ich verstehen. Ich bin das abschreckende Beispiel dafür.

Gab es Unterstützung aus dem Dorf? Der Kirchgemeinde?
Aus dem Dorf hinter vorgehaltener Hand. Die Kirche hat mich enttäuscht. Meine Firma renovierte die Kirche. Aber ich besuche die Kirche oft allein und rede mit Gott.    
 
Also Sie beten?
Nein, ich rede. Ich stelle Fragen. Wer gibt mir meine Kinder zurück? Warum entschuldigt sich die Bündner Regierung nicht?

Wenn sie das täte, könnten Sie vergeben?
Ich kann nur jemandem vergeben, der mich darum bittet. Dann sieht er ein, dass er etwas falsch gemacht hat. Niemand hat mich jemals um Verzeihung gebeten. Für das von der PUK deklarierte Fehlverhalten steht die Regierung nicht gerade. Es gab Menschen, die mich anstelle  der Regierung um Verzeihung baten. Es braucht Charakter, um jemanden um Verzeihung zu bitten.

Sie tragen Ihren Ehering, obwohl Ihre Frau auf Scheidung klagt?
Dieser Ring symbolisiert für mich nicht mehr die Ehe, sondern die Familie. Wenn ich ihn abnehmen würde, dann würde ich auch meine Kinder ‹weglegen›. Dies wird niemals geschehen.

Adam Quadroni, 51

Die vom Grossvater gegründete Quadroni SA ging nach dem Ausstieg aus dem Baukartell konkurs. Quadronis Aufsichtsbeschwerden gegen KESB, Polizei und Hausarzt wurden vom Bündner Regierungsrat abgewiesen. Erst nach der Publikation des Bau­kartell-Skandals im Online-Magazin republik 2018 erstattete der Regierungsrat Anzeige gegen Unbekannt. Gegen die Verantwortlichen des Polizeieinsatzes läuft ein Strafverfahren. Im Frühling 2021 erscheint der zweite Teil des PUK-Berichts.