«Postkarten von den Toten» banalisieren den Schrecken

Literatur

Banal, komisch, alltäglich: Dass der Tod auch so ist und damit eventuell etwas weniger schrecklich, darauf weisen Franco Arminios «Postkarten» hin. Jetzt gibt es sie auf Deutsch.

Der Titel des Büchleins eignet sich hervorragend als Titel für einen Artikel: «Postkarten von den Toten». Prägnant und kurz wird der Inhalt zusammengefasst – und es ist ein Leseanreiz, weil ein Rätsel drinsteckt: Wie sollen Tote Postkarten schicken können?

Natürlich gar nicht – es ist eine Fiktion. Das sollte nun aber nicht vom Weiterlesen abhalten, denn das neue kleine Buch ist bemerkenswert.

Ich war Priester. Ehrlich gesagt, vom Tod hatte ich etwas mehr erwartet.
Franco Arminio in «Postkarten von den Toten»

Der italienische Autor Franco Arminio hat es unter dem Titel «Cartoline dai morti» 2007 in Italien publiziert. Der Verlag Nottetempo schreibt dazu: «In 150 Erzählungen, paradox, ironisch und zündend, gibt uns Franco Arminio die Zusammenfassung der unzähligen Arten zu sterben, indem er uns kurze, trockene Postkarten von einem unbekannten Ort sendet.»

Dass die Postkarten der Toten nun auf Deutsch zu lesen sind, ist scheinbar ein Zufall. «Ich sah das Buch in Italien in einer Buchhandlung in der Auslage», sagt Res Brandenberger. Der Berner Autor und Gestalter und seine Frau Anita Rüegsegger leben seit Jahren jeweils mehrere Monate jährlich in Italien.

Ich ging spazieren, ich ass wenig, ich versuchte, mich über niemanden zu ärgern. Es hat nichts genützt.
Franco Arminio in «Postkarten von den Toten»

«Es hat sofort gefunkt», hält Brandenberger lapidar fest. Das Werk habe ihm inhaltlich und sprachlich sehr zugesagt. Vor einem knappen Jahr hätten sie dann Franco Arminio per Mail kontaktiert. Brandenberger habe charmant in etwa 35 Zeilen das Anliegen geschildert – zurückgekommen seien zwei Zeilen. «Er war sofort einverstanden. Immer kurz in den Antworten, aber sehr offen», sagt der Berner Texter und Grafiker.

Und nun, am 14. Oktober 2020, war es bereits soweit: Vernissage des Büchleins «Postkarten von den Toten». Es passt in eine Jackentasche: Ein etwas in die Länge gezogenes Postkartenformat, gut 170 Seiten dick, mit schlichtem, braun-beigen Leineneinband. Den herausgebenden Verlag «allenfalls» haben Brandenberger und Rüegsegger erst dieses Jahr gegründet.

Ich war immer ein Pechvogel. Am Tag meiner Beerdigung sprach man von der Beerdigung der Tochter des Apothekers, die am Tag zuvor gestorben war.
Franco Arminio in «Postkarten von den Toten»

Warum aber haben die Verlegenden gerade für dieses Werk die ganze Mühe des Übersetzens und Produzierens auf sich genommen? «Uns hat bestochen, dass Franco Arminio den Tod von leichter, lakonischer, alltäglicher Seite her betrachtet», sagt Brandenberger. Der Italiener befreie den Tod so vom Schicksalshaften. «Das Relative wird sichtbar. Das macht auch zuversichtlich.»

Die einzelnen «Postkarten», die Arminios eingebildete Tote geschrieben haben, sind als kurze Texte ohne Titel und Grussworte jeweils auf einer Seite abgedruckt. Oft nur ein, zwei Sätze, kaum je über zehn. Im ganzen Büchlein ist kein einziges Bild zu finden. Es sind die Worte, die wirken.

Niemand hatte mir das Geringste erklärt. Ich musste alles selber machen: regungslos und stumm daliegen, erkalten, mit der Verwesung beginnen.
Franco Arminio in «Postkarten von den Toten»

Für Franco Arminio selbst ist es «das liebste unter meinen Büchern», wie er dazu schreibt. Es entspringe seinem Schrecken, seiner Angst vor dem Tod: «Cartoline dai Morti ist ein Tagebuch meiner schlimmen Momente, meiner Panikattacken. Das ist eine sehr unklare Krankheit, an der ich schon sehr lange leide.»

Er erzähle den Tod, weil er in Wahrheit ein sehr gewöhnlicher Moment sei. Jeder Tag sei voll von letzten Atemzügen. Deshalb findet Arminio, er habe ein nützliches Buch geschrieben: «Ich denke, dass wir dabei sind, die Aufmerksamkeit für den Tod der andern zu verlieren. Wir alle sterben.» Aber wenn der Tod sterbe, weil er zu wenig thematisiert wird, sei es, als würde das Leben sterben, findet der Autor.

Wenn ich gewusst hätte, dass es so ist, wäre ich früher gestorben.
Franco Arminio in «Postkarten von den Toten»

Tatsächlich bringt er mit seinen Postkarten die Toten in den Alltag zurück. Sie erhalten die Möglichkeit, etwas aus ihrer Warte zu erzählen. Und weil das häufig selbst ganz konkret und auf seine Art alltäglich ist, nimmt es dem Tod seinen Schrecken. Es zeigt: Er kann genauso banal sein, wie wir ihn uns erhaben wünschen, genauso absurd komisch, wie er für uns traurig ist.

Oder, wie es der Italiener Fulvio Cortese in einer Kritik des Büchleins sagt: «Der einzige Weg, die Angst vor dem Tod zu vertreiben, besteht darin, seine absolute Natürlichkeit zu erkennen.»