Recherche 29. Juli 2020, von Sylvia Stam, Pfarrblatt Bern

Konfliktfelder der multireligiösen Gesellschaft beleuchten

Gesellschaft

Eine neue Ausstellung spürt anhand der Themenbereiche Arbeit, Geld, Schule, Heirat, Bestattung, Medien und Seelsorge Reibungsflächen im Verhältnis von Staat und Religion auf.

Darf man barfuss einen Tempel bauen? Gibt es auch Seelsorger für muslimische oder konfessionslose Rekruten? Wo können Hindus die Asche ihrer Verstorbenen verstreuen? Solche Fragen wirft die Ausstellung «Shiva begegnet Suva» des Polit-Forums Bern auf. Sie spürt anhand der Themenbereiche Arbeit, Geld, Schule, Heirat, Bestattung, Medien und Seelsorge Reibungsflächen im Verhältnis von Staat und Religion auf.

So musste beispielsweise der Bau des Hindu-Tempels im Haus der Religionen in Bern gemäss hinduistischer Tradition barfuss und ohne Kopfbedeckung erfolgen. Nach den Richtlinien der schweizerischen Unfallversicherung Suva sind Arbeiter ohne Schuhe und Helm auf einem Baugerüst jedoch nicht denkbar.

Viele Religionen – nur drei anerkannte Kirchen

Solche Beispiele zeigen, ebenso wie die Diskussionen um Weihnachtsfeiern an Schulen, Kreuze im öffentlichen Raum oder muslimische Grabfelder, dass in einer zunehmend pluralen Gesellschaft Konfliktfelder entstehen, für die es noch keine Regelungen gibt. 

«Es geht um einen Aktualitäts-Check», erläutert Michael Braunschweig die Idee der Ausstellung. Er ist assoziierter Programmpartner beim Polit-Forum Bern und Leiter der Fachstelle «Reformierte im Dialog» der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.

Während die Religionszugehörigkeit der Schweizer Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten sehr vielfältig geworden sei, basiere die staatliche Regulierung derselben noch immer auf dem Modell der drei öffentlich-rechtlich anerkannten christlichen Religionsgemeinschaften. «Ist das noch zeitgemäss?», fragt Braunschweig.

Berner Landeskirchengesetz als Ausgangspunkt

Im Alltag würden zwar oftmals pragmatische Lösungen gefunden, Kirchen und Politik müssten sich diesen Fragen dennoch stellen. Hierzu möchte das Polit-Forum Bern einen Diskussionsbeitrag leisten.

Anlass für die Ausstellung im historischen Käfigturm war denn auch das neue Landeskirchengesetz des Kantons Bern, das seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist. Sie führt mit kurzen Texten in die zentralen Fragestellungen der sieben Themenfelder ein, ergänzt mit statistischem Material, Fotos und Videosequenzen. So erfährt die Besucherin, dass bei der römisch-katholischen, der evangelisch-reformierten und der christkatholischen Kirche insgesamt 73 Prozent der geistlichen Leitenden Vollzeitangestellte sind, bloss ein Prozent derselben arbeitet ehrenamtlich. Bei den nicht-christlichen Gemeinschaften sind es 14 Prozent Vollzeitangestellte gegenüber 82 Prozent Ehrenamtlichen.

Religion spielt im Berufsleben kaum eine Rolle

Sichtbar gemacht wird auch die abnehmende Bedeutung der Konfessionen bei der Heirat: Wurden 1970 noch rund 16'000 Ehen geschlossen, bei der Mann und Frau evangelisch-reformiert waren, so galt dies 2018 noch für 3500 Paare. Bei den Katholiken und Katholikinnen sank die Zahl etwas weniger, von 17'000 auf 6400. Demgegenüber hat die Anzahl nicht-christlicher oder konfessionsloser Ehepartner und Ehepartnerinnen von 480 auf 18'000 zugenommen.

Gleich im Eingangsbereich des Käfigturms wird anschaulich gezeigt, in welchen Bereichen Religion im Leben heutiger Menschen überhaupt eine Rolle spielt: Nämlich in schwierigen Lebensmomenten (für 56 Prozent), bei Krankheit (47 Prozent) oder in der Einstellung gegenüber Natur und Umwelt (47 Prozent), kaum jedoch im Beruf (23 Prozent) oder im Sexualleben (16 Prozent).

Begleitprogramm mit Politikerinnen und Freidenkern

«Die Ausstellung liefert den Hintergrund für die Diskussionen, zu denen das Begleitprogramm einlädt», sagt Michael Braunschweig. In Podiumsdiskussionen, Workshops und direkten Gesprächen mit Gläubigen aller Couleur, Politiker und Freidenkerinnen lädt das Politforum denn auch zur vertieften Auseinandersetzung mit der Thematik ein.

Shiva begegnet Suva – Religion und Staat im Alltag

Ausstellung und Veranstaltungsreihe im Politforum Bern im Käfigturm Bern. 10. August bis 12. Dezember 2020. Vernissage am 12. August, 18 Uhr. Die Ausstellung kann individuell oder auf Anfrage mit Führung besucht werden.

Das Politforum Bern wird getragen von Stadt, Kanton und Burgergemeinde Bern, von der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz und der Evangelisch-Reformierten Kirche Schweiz. Es trägt mittels Ausstellungen und Veranstaltungen zur politischen Bildung bei.

www.polit-forum-bern.ch

Living Library

Personen, die in der Ausstellung porträtiert sind, vermitteln im direkten Gespräch ihre Sichtweise auf die Ausstellung. Samstags, 14:00 - 14:45.

- 15.8.2020: Walter Glauser, Selbständiger Berater für Bestattungen

- 22.8.2020: Naomi Lubrich, Direktorin Jüdisches Museum in Basel

- 29.8.2020: Sasikumar Tharmalingam, Hindu-Priester

- 5.9.2020: Bea Friedli, Sozialarbeiterin reformierte Kirche Bern Ost

- 31.10.2020: Karl-Martin Wyss, Präsident kleiner Kirchenrat Kirchgemeinde Bern und Umgebung

- 21.11.2020: Hannan Salamat, Fachleitung Islam Zürcher Institut für interreligiösen Dialog

- 28.11.2020: Eliane Schmid, Co-Präsidentin Freidenkende Bern

www.polit-forum-bern.ch/ausstellung/shiva-begegnet-suva/

Veranstaltungen

Mi, 12. August, 18 Uhr:        Vernissage zur Ausstellung «Shiva begegnet SUVA» Vernissage «Shiva begegnet SUVA» 

Begrüssung durch Esther Gaillard, Vizepräsidentin des Rates der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, sowie Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz und Vorstandsmitglied des Polit-Forums Bern. Mitwirkende der Ausstellung berichten über ihre Erfahrungen an der Schnittstelle von Religion und Staat.

Di, 18. August, 18 Uhr: Podiumsdiskussion zur Ausstellung «Shiva begegnet SUVA»      Religion, Staat und die Liebe

Die Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft verändern sich in einer kulturell und religiös vielfältigen Gesellschaft. Welche Freiräume bieten die Religionen für Partnerschaft und Zusammenleben? Welchen Einfluss haben staatliche Regelungen?

Podiumsdiskussion mit:
- Susanna Burghartz, Professorin für Geschichte Universität Basel
- Bruno Fluder, Sprecher Adamim - Verein Schwule Seelsorger Schweiz
- Eva Kaderli, Co-Präsidentin Zwischenraum Schweiz
- Alisa Winter, «modern-orthodoxe» Jüdin und Autorin

Moderation: Nicole Freudiger, Redaktorin / Produzentin Fachredaktion Religion, SRF

Mi, 9. September, 18.30 Uhr:      Podiumsdiskussion zur Ausstellung «Shiva begegnet SUVA» Im Dienste aller

Für ihre gesamtgesellschaftlichen Leistungen erhalten die anerkannten Kirchen in vielen Kantonen staatliche Beiträge und Steuern von Unternehmen. Welche Leistungen erbringen die Kirchen aber konkret? Wer profitiert? Wie wird das geprüft? Warum erhalten andere Religionsgemeinschaften keine Beiträge? Und wie ist dieses Modell in Zukunft zu entwickeln?

Podiumsdiskussion mit:
- Renata Asal-Steger, Präsidentin RKZ und Kirchliche Gassenarbeit Luzern
- Baptiste Brodard, Doktorand am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft
- Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung
- Christelle Luisier Brodard, Regierungsrätin VD, FDP
- Christian Reber, Doktor in Religionsstudien Universität Freiburg

Moderation: Michael Braunschweig, Reformierte im Dialog

Mi, 21. Oktober, 18.30 Uhr,   Podiumsdiskussion zur Ausstellung «Shiva begegnet SUVA» Wie vertragen sich Staat und Religion?

Wie soll eine pluralistische Gesellschaft das Verhältnis von Religion und Staat regeln: Braucht es eine Entflechtung und neue Formen der Zusammenarbeit, eine Anerkennung von weiteren Religionsgemeinschaften oder eine Trennung von Religion und Staat? Die verschiedenen Kantone gehen diese Fragen ganz unterschiedlich an.

Podiumsdiskussion mit:
- Evi Allemann, Regierungsrätin Kanton Bern, Direktion für Inneres und Justiz
- Michael Köpfli, Grossrat GLP und Generalsekretär der GLP Schweiz
- Esther Straub, Kirchenrätin der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich
- René Pahud de Mortanges, Direktor des Instituts für Religionsrecht der Universität Freiburg

Moderation: Michael Braunschweig, Reformierte im Dialog