Für viele ist sie einfach die von der Kirche

Diakonie

Madeleine Wiesendanger macht seit bald 20 Jahren Geburtstagsbesuche. In den Begegnungen lernt sie auch viel für ihr eigenes Leben.

Wenn Madeleine Wiesendanger die Altersresidenz Konradhof betritt, wird schnell klar, dass sie hier keine Fremde ist. Angestellte grüssen sie mit Namen, Seniorinnen und Senoren winken ihr zu. «Kommst du bald wieder mal vorbei?», fragt eine Frau, die an einem Tischchen sitzt.   

«Man kennt mich hier», sagt Madeleine Wiesendanger. Sie sei «die vo de Chile». Sie lacht herzlich. Seit bald 20 Jahren gehört Wiesendanger zum Besuchsdienst-Team der Stadtkirche Winterthur. 

«Ich fühlte mich der Kirche stets nah, singe im Oratorienchor und habe bis vor fünf Jahren gleich neben der Stadtkirche in einem Fachgeschäft für Mode und Design als Modeberaterin gearbeitet», erzählt die 75-Jährige. «Ich hatte immer ein gutes Leben und freue mich, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.»

Prosecco zum Feiern 
Viele Gemeinden der reformierten Kirche im Kanton Zürich bieten einen Besuchsdienst an und vermitteln Personen, die sich freiwillig dafür engagieren wollen. Das Angebot reicht von Geburtstagsvisiten bis hin zum wöchentlichen Besuch.  

Madeleine Wiesendanger sowie sechs weitere Frauen – im Moment gehört kein Mann zum Team – besuchen hochbetagte Jubilarinnen und Jubilare. Alle drei Monate werden die Frauen vom Sozialdiakon ins alte Pfarrhaus eingeladen und besprechen die anstehenden Besuche. Das erste Mal gehen sie beim 88. Geburtstag vorbei, von da an alle zwei Jahre, ab dem 95. jedes Jahr. 

Manche Leute leben noch im eigenen Haus oder einer privaten Wohnung, andere sind im Altersheim. Madeleine Wiesendanger kündigt ihren Besuch telefonisch an und fragt, wann es passe. «Die meisten Leute freuen sich sehr.» Erst einmal habe jemand gesagt, sie brauche nicht zu kommen. «Das ist aber auch völlig in Ordnung.» Oft machen die Seniorinnen Kaffee, stellen ihr schönes Geschirr auf, und es gibt dazu Guetzli oder Kuchen.

Zwischentitel
Einmal fragte ein Jubilar, ob er die Besucherin ins Restaurant zu einem Glas Prosecco einladen dürfe, es gebe ja schliesslich etwas zu feiern. «Ich freute mich und sagte spontan zu.» Die Jubilaren erhalten jeweils ein kleines Geschenk sowie ein Gratulationsschreiben der Kirche. 

Es ist, wie wenn man ein Buch aufschlägt. Das ganze Leben wird aufgefächert.
Madeleine Wiesendanger

Es seien schöne Begegnungen, und fast immer erzählten die Menschen aus ihrem Leben. «Es ist, wie wenn man ein Buch aufschlägt und hier etwas liest, da ein Bild betrachtet.» Sie müsse gar nicht viel sagen, sondern höre einfach zu. «Das ganze Leben wird aufgefächert.» 

Manche Menschen berichteten von Schicksalsschlägen, Krankheiten, Verlusten. Doch oft bleibe das Gute in Erinnerung. Einzelne Gespräche gehen in die Tiefe, berühren auch mal Fragen rund um den Tod, aber nur, wenn es von den Jubilaren ausgeht. «Ich bin hier, um den Leuten eine Freude zu machen», sagt Madeleine Wiesendanger.

Nie hätte sie gedacht, dass ihr der Besuchsdienst so viel geben würde: die bereichernden Beziehungen zu den Frauen im Team, die geselligen Treffen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Und: «Ich erlebe bei meinen Besuchen, dass das Alter auch etwas Beschauliches hat, worauf man sich freuen kann.» Nach manchen Besuchen habe sie schon gedacht: «So möchte ich auch mal alt sein.» Solche Leute seien Vorbilder.

Die Nähe zum Bahnhof 
Langsam macht sich die Rentnerin vertraut mit ihrer nächsten Lebensphase. In einem ersten Schritt haben sie und ihr Mann das Haus mit Garten verkauft und sind in eine neue Wohnung direkt neben der Seniorenresidenz gezogen. Das kinderlose Paar hat ein Generalabonnement, ist viel unterwegs, von daheim in fünf Minuten auf dem Zug. 

Wiesendanger geniesst, dass ihr die Nachbarschaft vertraut ist und «man nicht anonym aneinander vorbeigeht». So kommt es, dass sie die eine oder andere Seniorin auch besucht, wenn kein Geburtstag ansteht.