250 Jahre alt ist die reformierte Grubenmann-Kirche in Wädenswil. Das Jubiläum wird das ganze Jahr über mit einer Vielzahl von Veranstaltungen gefeiert. Einige davon benötigten mehr Platz, als normalerweise in der denkmalgeschützten Kirche mit ihren 1275 Sitzplätzen zur Verfügung steht. Hierfür hatte Wädenswil von der Denkmalpflege die Erlaubnis erhalten, dreissig Sitzbänke während des Jubiläumsjahres 2017 auszuräumen. Ende Januar 2018 müssen die Bänke nun wieder an ihren alten Ort zurück.
Kirche neu nutzen. Damit sind viele Menschen in Wädenswil nicht einverstanden. Sie haben die IG FreiRaum-Kirche gegründet. Diese kämpft dafür, dass die Sitzreihen dauerhaft weggeräumt bleiben sollen, um auch künftig mehr Platz für vielerlei Aktivitäten frei zu haben. «Wir möchten den speziellen Kirchenraum besser nutzen als ‹nur› für Gottesdienste am Sonntagmorgen, neue Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Verkündigung läuft heute anders als früher, in neuen Formen, von Mensch zu Mensch, nicht als Einwegkommunikation», sagt Pfarrer Ernst Hörler.
Während des Jubiläumsjahrs wären verschiedene Anlässe nicht möglich gewesen, hätte nicht der durch die Beseitigung der Kirchenbänke frei gewordene Platz – eine Fläche von rund 6 auf 27 Meter – zur Verfügung gestanden. So fand unter anderem eine Ballnacht statt sowie ein grosses Gastmahl an langen Tischen. Aber auch Feiern mit Kindern, an denen diese auf dem Boden rumkrabbeln konnten, oder ein Zwingli-Musical.
Die guten Erfahrungen mit solchen Arten der Verkündigung – die laut Ernst Hörler «gut reformiert» sind im Sinne des Priestertums aller Gläubigen – will die IG nun für eine dauerhafte Lösung nutzen. Sie hat eine Petition «Mehr Freiraum in der Kirche» lanciert. Darin wird die Kirchenpflege von Wädenswil aufgefordert, sich bei der kantonalen Denkmalpflege dafür einzusetzen, die Bankreihen dauerhaft aus der Kirche zu entfernen. An der nächsten Kirchgemeindeversammlung im Dezember wird die Petition eingereicht werden mit dem Auftrag an die Kirchenpflege, ein Konzept dafür auszuarbeiten.
Aufbruchstimmung. Der Startschuss zur Sammlung der Unterschriften für die Petition fiel Ende September an einer gut besuchten Podiumsdiskussion unter dem Motto «Lebendige Kirche oder Museum?». An die hundert Leute diskutierten mit. Die Rede war davon, wie der freie Platz Inspiration für neue Ideen gebe. Mit dem leeren Raum könnten neue Leute für die Kirche angesprochen werden, auch junge. Zur Sprache kam aber auch, dass der Wegfall von Kirchbänken Auswirkungen auf die Akustik habe. Der Kinderliedermacher und Musiker Andrew Bond gab zu bedenken, dass Konzerte in so grossen Kirchen wie Wädenswil oder Horgen schwierig seien. Und Pfarrer Ernst Hörler hat im Verlauf dieses Jahres bei seinen Predigten gemerkt, dass die akustische Beeinträchtigung mit weniger Bänken massiv sein kann.
Nichtsdestotrotz spürte Jürg Boos, Mitbegründer der IG und ehemaliger Vize-Kirchenpflegepräsident, an der Veranstaltung «Aufbruchstimmung». Vielen der Anwesenden sei bewusst geworden, wie da etwas Neues entstehen könne, dass mehr freier Raum in der Kirche auch spirituelle Freiräume schaffe und für eine lebendige Kirche sorgen könne.
Offen für Gespräche. Die Denkmalpflege wird in absehbarer Zeit einen Entscheid fällen müssen. Auf Anfrage gibt sich die Behörde offen. Man wisse, dass bei einem Teil der Kirchgemeinde der Wunsch bestehe, die Bänke nicht zurückzustellen. «Die Denkmalpflege steht diesem Anliegen offen gegenüber und ist bereit, Gespräche zu führen, um allfällige Lösungen zu suchen.» Ideen würden unvoreingenommen geprüft. Rechtlich gesehen sind gemäss Planungs- und Baugesetz denkmalgeschützte Kirchen «Schutzobjekte, die ungeschmälert erhalten bleiben» müssen. Wie weit dabei der Begriff «ungeschmälert» auch Kirchenbänke, und zwar alle, umfasst, darüber lässt sich streiten. Und das werden die Wädenswiler Reformierten und die Denkmalpflege tun.