Mit Gottes Armee gegen den Satan

Psychiatrie

Obwohl die Beweise fehlen, halten sich Erzählungen von Fällen ritueller Gewalt hartnäckig. Evangelikale Christen tragen viel zur Verbreitung der Verschwörungstheorie bei.

Satanistische Zirkel, die auch in der Schweiz Kinder missbrauchen oder gar opfern: Ende 2021 schlug die SRF-Reportage «Der Teufel mitten unter uns» hohe Wellen. Sie brachte ans Licht, dass hierzulande zahlreiche Menschen daran glauben, dass im Untergrund operierende satanistische Gruppen auf blutrünstige Weise Kinder schänden. Und dass Menschen suggeriert wird, selbst Opfer dieses sogenannten rituellen Missbrauchs geworden zu sein. Was kaum Erwähnung fand: An der Verbreitung der «Satanic Panic» sind kirchliche Kreise massgeblich beteiligt, allen voran der in Winterthur beheimatete Verein Cara (Care about ritual abuse).

Die «Interessenvereinigung zur Aufklärung und Vernetzung gegen organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt» wurde 2014 von der reformierten Pfarrerin Ruth Mauz gegründet. Sie war lange als Pfarrerin in Kreuzlingen tätig, steht aber einem pfingstlich-charismatischen Christentum nahe. 2020 übergab sie die Leitung an Fritz Bamert, der mehrfach für die konservative EDU für das Kantonsratsparlament kandidierte und dabei offen mit seinen Verbindungen zur Heilsarmee warb. Auf einem Organigramm des Korps Zürich-Oberland von 2021 ist er als Leiter eines Männertreffs aufgeführt. Die Heilsarmee legt jedoch Wert darauf, zu betonen, dass Bamert heute weder Mitglied ist, noch Verantwortung trägt. Auch die Geschäftsführerin von Cara, Fabiola Pfäffli, identifiziert sich mit freikirchennahen Kreisen, wie sich aus entsprechenden Facebook-Einträgen schliessen lässt.

Dualistisches Weltbild

«Aus meiner Sicht sind die Freikirchen treibende Kraft hinter der Verbreitung und Aufrechterhaltung der Satanic Panic», sagt der Psychiater Thomas Ihde im Interview mit «reformiert.». Er ist Präsident der Stiftung für psychische Gesundheit Pro Mente Sana und kritisiert den Verein Cara, der mit seinen Weiterbildungen unter anderem Sozialarbeitende, Seelsorgende, Theologinnen und Therapeuten anspricht, scharf.

Insbesondere die Therapeuten und Therapeutinnen spielen in der Debatte um rituelle Gewalt eine wichtige Rolle. Einigen wird vorgeworfen, bei Patienten mit komplexen psychischen Störungen mit suggestiven Therapietechniken Erinnerungen an traumatische Ereignisse zu provozieren, die so gar nicht passiert sind. Diese vermeintlichen Erinnerungen sollen die Existenz satanistischer Gruppen belegen. Mit fatalen Folgen: Die Betroffenen bezichtigen nicht selten das nahe Umfeld, sie rituell missbraucht zu haben – obwohl es hierfür keinerlei Beweise gibt. Der besagte SRF-Bericht hatte Konsequenzen: Traumatherapien in namhaften Kliniken wurden gestoppt, fragwürdige Therapeuten entlassen. Viele Fälle von Opfern und Angehörigen landeten auch bei Ihde, der sich seitdem um Aufklärung bemüht.

Auch Georg Schmid von der Informationsstelle Relinfo sieht beim Thema ritueller Gewalt einen klaren Bezug zu Kirchen und christlichen Kreisen: Viele Anhänger der Verschwörungstheorie seien christlich-fundamentalistisch motiviert, hätten ein radikal dualistisches Weltbild: «Für sie gibt es Gott und Satan, die sich bekämpfen. Gottes Armee sind die Christen. Also muss es eine starke satanistische Bewegung geben, welche die Armee Satans bildet.» Und diese versuche, Menschen durch rituellen Missbrauch an sich zu binden. Dazu würden zahlreiche Exponenten aus Politik und Wirtschaft gehören, was die Theorie zur Verschwörungserzählung macht.

Diest am Nächsten

Warum sich ausgerechnet engagierte Christen für das Thema ritueller Missbrauch starkmachen, wollen weder Cara-Präsident Bamert noch Geschäftsführerin Pfäffli erklären. Der Verein beantwortet derzeit keine Medienanfragen mehr. Auskunft gibt Paul Veraguth. 30 Jahre war er im reformierten Pfarramt im Kanton Bern, seit 2014 arbeitet als freier Autor, Seminar- und Reiseleiter.

Als Seelsorger widmet sich Veraguth – wie Ruth Mauz und der Verein Cara – noch heute Menschen, die sich als Opfer sehen. «So wie Gott existiert, gibt es auch dunkle Mächte», sagt er auf Anfrage. Auch Jesus habe Menschen geholfen, die von Dämonen besessen waren. Das eigene Engagement versteht Paul Veraguth als einen Dienst am Nächsten. Den dunklen Kräften halte er das Evangelium entgegen. Psychiater Ihde hofft, dass die Verschwörungstheorie dank einer kritischen Berichterstattung bald ein Ende nimmt. Mittlerweile sei es einfacher, sich zu informieren und auch kritische Stimmen im Internet zu finden. Engagement wünscht er sich auch von den Landeskirchen. Diese könnten etwa mit Vorträgen und Symposien zu dem Thema rituelle Gewalt sensibilisieren.