Gemäss der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu annullierte das Oberste Gericht den Status der Hagia Sophia als Museum. Somit kann das Unesco-Weltkulturerbe wieder in eine Moschee umgewandelt werden, so wie dies der türkische Präsident und seine Regierungspartei fordern. Dieser Entscheid fiel nachdem am 2. Juli das Gericht die Anhörung nach nur 17 Minuten abgebrochen hatte und den Entscheid hinauszögerte.
Museum oder Moschee: Der Streit um die Hagia Sophia
Das türkische Gericht hat entschieden, dass die Hagia Sophia kein Museum mehr ist. Somit kann die ehemalige Kirche in eine Moschee umgewandelt werden.

Hagia Sophia
Die im sechsten Jahrhundert erbaute byzantinische Grosskirche Hagia Sophia galt bis zum Bau des Petersdoms in Rom fast tausend Jahre lang als die wichtigste Kirche des Christentums. Als 1453 die Osmanen das damalige Konstantinopel eroberten, wandelten sie die Kirche in eine Moschee um. Der Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk wiederum erklärte sie 1934 zu einem Museum, das zu einem der wichtigsten Besuchermagnete der Stadt geworden ist und vom Kultur- und Tourismusministerium verwaltet wird.
Eine Demütigung gegenüber den religiösen Minderheiten
«Die Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum zu einer Moschee bildet im Moment eine der schwierigsten Fragen im wieder eskalierenden griechisch-türkischen Konflikt», sagt Amalia van Gent, ehemalige Türkei-Korrespondentin der NZZ. Der türkisch-griechische Konflikt bezieht sich nicht nur auf die Flüchtlingsströme aus der Ägäis, sondern auch auf ein Abkommen zwischen der Türkei und Libyen: «Die Türkei macht ihren Anspruch auf die Erdöl und Erdgasvorkommen im gesamten östlichen Mittelmeer geltend und ignoriert demonstrativ, dass dabei die Rechte der Anrainerstaaten Griechenlands, Zyperns, Ägyptens und Israels verletzt werden.» Die EU wie auch die betroffenen Anrainerstaaten anerkennen das türkisch-libysche Abkommen nicht an.
Für Amalia van Gent ist der Streit deshalb so brisant, weil Erdogan und seine Regierung in der Umwandlung «in erster Linie den Sieg des Islams über das Christentum» sehen und unterstreichen. Bezeichnend sei etwa die Aussage des türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay: «Wir haben die Hagia Sophia erobert und können mit ihr tun und lassen, was wir auch wollen». Für Amalia van Gent kommt das Vorhaben einer Demütigung gegenüber den religiösen Minderheiten im Land gleich.
Kirchenführer warnen vor Spaltung
Die Hagia Sophia gilt in der orthodoxen Welt als das Symbol für ihre byzantinische Vergangenheit. Das Vorhaben des türkischen Präsidenten wurde deshalb auch von religiösen Führern scharf kritisiert: Die Heilige Synode der orthodoxen Kirche Griechenlands forderte die türkischen Behörden zu einem respektvollen Umgang mit dem Unesco-Welterbe auf. Das oberste Gremium der orthodoxen Kirche Griechenlands nannte die Hagia Sophia ein architektonisches Meisterwerk und ein «ausserordentliches Beispiel christlicher Kultur». Der Wert des Bauwerks sei «universal», so die Erklärung des Heiligen Synods. Erdogans Vorhaben wurde ferner auch von der russischen Kirche kritisiert.
In die Debatte um die Nutzung der Hagia Sophia mischte sich auch der orthodoxe Ökumenische Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I. ein und sprach sich öffentlich gegen eine Umwandlung aus. Die Hagia Sophia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre «der gesamten Menschheit», sagte der Patriarch während einem Gottesdienst in der Apostelkirche im Istanbuler Stadtteil Feriköy. Die Hagia Sophia als Museum könne als «Ort und Symbol von Begegnung, Dialog und friedlichem Zusammenleben der Völker und Kulturen, des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität zwischen Christentum und Islam» fungieren, sagte Bartholomaios. Ihre Umwandlung würde «uns hingegen spalten, anstatt uns zusammenzubringen».
Wissenschaftler fürchten Schaden der Kunstwerken
Während der armenisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel auf Twitter dafür appellierte, die einstige Kirche und spätere Moschee als ein Gotteshaus für Muslime und Christen zu nutzen, haben rund 200 internationale Wissenschaftler der byzantinischen und osmanischen Kunst und Kultur einen offenen Brief verfasst. Darin äussern sie ihre Sorge, dass im Streit um den Status, historische und archäologische Beweise beschädigt und Kunstwerke verborgen werden könnten. «Die Hagia Sophia ist ein zu schönes Denkmal und ein zu kostbares historisches Dokument, um als Spielball in der Regionalpolitik zu dienen», schreiben die Wissenschaftler.