Recherche 18. Mai 2017, von Sabine Schüpbach Ziegler

Nachspielzeit für Vitus Huonder

Konflikt

Überraschung aus Rom: Der umstrittene Churer Bischof Huonder bleibt noch bis Ostern 2019 im Amt. Reformkatholiken sind schockiert und traurig.

Der Vatikan ist immer wieder für eine Überraschung gut. Am 4. Mai übermittel­te das Bistum Chur den Entscheid aus Rom, dass Vitus Huonder für weitere zwei Jahre Bischof bleibt. Papst Franziskus habe den Amtsverzicht, den Huonder kirchenrechtskonform zum 75. Geburtstag am 21. April angeboten hatte, erst per Ostern 2019 angenommen.

Ungelöstes Rätsel. Bereits war viel über mögliche Nachfolger des konservativen Bischofs spekuliert worden, aber mit diesem Szenario hatte niemand gerechnet. Das Wahlprozedere wird nun erst nach Huonders Rücktritt beginnen. Der Bischof selbst zeigte sich «gerührt» über den «Vertrauensbeweis» des Papstes.

Die Gefühlslage von Erwin Koller hingegen war eine ganz andere: «Ich bin schockiert.» Er gehört zur Allianz «Es reicht!», die sich für einen Neuanfang im Bistum einsetzt. Der Papst habe sich für eine der schlechtesten Lösungen entschieden. «Nun wird das Elend verlängert.» Die Allianz hatte einen Administrator gefordert, der das Bistum vom Rücktritt Huonders bis zur Wahl eines neuen Bischofs hätte befrieden sollen. Seit Jahren gibt es tiefe Klüfte zwischen den huondertreuen, konservativen Kräften und der progressiven Basis.

Willi Anderau von der «Pfarrei-Initiative» ärgert sich darüber, dass Rom seinen Entscheid überhaupt nicht erklärt. «Wieder einmal werden wir Katholikinnen und Katholiken wie unmündige Kinder behandelt. Wir können nur mutmassen und raten», kritisiert Anderau. Positiv gedacht könne der Entscheid bedeuten, dass man in Rom mit den vom päpstlichen Nuntius (siehe Kasten unten) und Huonder selbst vorgeschlagenen Nachfolgern nicht zufrieden war und den Ball an Chur zurückspiele. Eine vernünftige Lösung könne es aber nur geben, wenn auch die Basis endlich ein Mitspracherecht erhalte, betont der Kapuzinerpater.

Abkehr von Chur. Reformorientierte Katholikinnen und Katholiken in den Pfarreien werden am meisten unter der verlängerten Ära leiden. Kirchenkenner beobachten, dass sich Pfarreien von Chur abnabeln und den Kontakt zum Bischof möglichst vermeiden. Einige legen Firmungen, an denen traditionell der Bischof das Firmsakrament spendet, extra so, dass Huonder nicht dabei sein kann.

Mit seinen homophoben Äusserungen und seinem Unverständnis gegenüber Re­formanliegen wie der Aufhebung des Pflichtzölibats und der Zulassung der Frau zum Priesteramt vergrault er viele. Auch innerhalb der Schweizerischen Bi­schofskonferenz sorgt er laut Insidern seit Jahren für Blockaden. Es erstaunt darum nicht, dass die Stellungnahme der Bischöfskonferenz zur Amtsverlängerung wenig erfreut klingt: Man respektiere den Entscheid Roms, heisst es in einem einzigen dürren Satz.

Der Zürcher Synodalrat als Exekutive der katholischen Landeskirche und Generalvikar Josef Annen zeigten sich in einer Stellungnahme überrascht: «Wir hoffen und erwarten, dass die an der Wahl beteiligten Instanzen die Zeit bis Ostern 2019 gut nutzen, um einen geeigneten Nachfolger für den Churer Bischofssitz zu finden.» Zwar habe die Zürcher Kirche mit ihrem eigenen, vom Bischof eingesetzten Generalvikar eine «relative Autonomie von Chur», so der Sprecher des Synodalrats, Simon Spengler. Dennoch präge der Churer Bischof das Bild der Zürcher Kirche mit und die Seelsorgenden müssten mit ihm zusammenarbeiten.

Bezüglich Nachfolger hält Spengler fest: Mehrere fortschrittlichere Prie­ster im Domkapitel, das den Bischof wählt, seien sehr alt. «Sterben einige in den nächsten zwei Jahren und werden von Huonder durch konservative Priester ersetzt, könnte das noch halbwegs ausgewogene Domkapitel vollends ins Konservative kippen.» Ein offener Bischof wür­de unwahrscheinlicher.

Nuntius Thomas Gullickson

Der Vatikan-Botschafter spielt eine Schlüsselrolle bei der Wahl des neuen Churer Bischofs. Er muss eine Liste mit drei Namen nach Rom schicken, welche dort überarbeitet und darauf dem Churer Domkapitel zur Wahl vorgelegt wird. Thomas Gullickson stammt aus den USA und gilt als erzkonserva­tiv. Er sympathisiert mit der Piusbruderschaft und kritisiert «die Tyrannei des Liberalismus». Seit September 2015 ist er Nuntius in der Schweiz.

Anfangs irritierte er mit unverblümten Twitter-Botschaften, in denen er vorschlug, Schweizer Pfarreien ohne Priester auf­zuheben.