«300 Bewerbungen und keine Einladung zum Vorstellungsgespräch – das höre ich ständig». Daniel Neugart, Präsident des Verbands «Save 50+ Schweiz», referiert im Treffpunkt für stellenlose Fach- und Führungskräfte. Das passt, denn die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer hier gehören zu den «älteren» Arbeitnehmenden. Inzwischen ist man das schon ab vierzig, sagt Neugart.
Schnell handeln. Zuvor gab es zum Einstieg wie bei den Treffen üblich einen kurzen spirituellen Impuls von jemandem aus der Gruppe. Der heute Zuständige las eine Weisheitsgeschichte von einem Indianer auf Grossstadtbesuch vor. Er war jahrelang Kundenberater bei einer Privatbank und ist seit Januar stellenlos. Die ausländische Bank hat ihr Tochterunternehmen in Zürich aufgegeben, hundert weitere Leute verloren ihre Arbeit. Den typisch dezent-eleganten Anzug trägt der 53-Jährige auch hier im einfachen Raum im reformierten Kirchgemeindehaus in Oerlikon. Nach der Kündigung hat sich der Banker keine Pause gegönnt, sofort eine Laufbahnberatung und ein Job-Coaching gemacht und inzwischen mindestens sechzig Bewerbungen geschrieben. Eigentlich hat er damit alles richtig gemacht. «Wer in unserem Alter den Job verliert, muss von Anfang an alle Hebel in Bewegung setzen», sagt Neugart. Immer noch sei den Leuten viel zu wenig bewusst, wie gefährlich diese Ausgangslage sei. Hilfe könne man von nirgendwo erwarten, man müsse sich selber helfen.
«Wie geht es euch?», fragt Neugart die Runde. Den Umständen entsprechend gut, finden die meisten und erzählen von ihren Jobbemühungen. Unmut über die Untätigkeit der Politik wird geäussert. Die Kränkung, trotz guter Ausbildung und viel Erfahrung nicht mehr gefragt zu sein auf dem Arbeitsmarkt, ist nur verhalten spürbar. Man will hier nicht einfach nur jammern.
Eine Frau schildert knapp, dass sie fürchte, am Ende des Sommers in ein Loch zu fallen, weil dann die Aussteuerung anstehe. Eine andere erzählt, wie sie neu Freiwilligenarbeit leiste, um den Tag zu strukturieren. Es gibt aber auch gute Neuigkeiten: Ein Teilnehmer, früher Verkäufer, berichtet, dass er wahrscheinlich bei einer Sicherheitsfirma eine Stelle bekommen wird.
Durchmischtes Publikum. Neugart betont: Die meisten älteren Arbeitslosen fänden wieder eine Stelle, es dauere einfach länger, und man müsse auch den Mut haben, mehrere Jobs zu kombinieren. Was auffällt: Der Umgang miteinander in der Runde ist sehr respektvoll und herzlich. Hier sitzen Menschen zusammen, die sich sonst vielleicht nie kennengelernt hätten, und irgendwie scheinen das alle zu schätzen. Inzwischen gibt es jeden Monat auch einen Freitagsstamm, von Teilnehmern ins Leben gerufen.
«Bei uns finden sich die unterschiedlichsten Berufsgattungen und Bildungsniveaus, Leute, die erst kurz arbeitslos sind, wie solche, die schon ausgesteuert sind», erzählt Myrta Ruf. Vor zwölf Jahren, als sie Vorstandsmitglied beim reformierten Stadtverband war, hat die pensionierte Erwachsenenbildnerin den Treffpunkt initiiert. Hans-Peter Murbach, damals noch Geschäftsleiter der Internetseelsorge, hat das Projekt mit aufgebaut. Zuvor machte er selber Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit. Der Elektroingenieur verlor mit 53 seine langjährige Stelle. Die beiden arbeiten ehrenamtlich, unterstützt von Moderator Christian Thomen, einem ehemaligen Psychologen.
Einander aufbauen. Bei den Treffen wird darauf geachtet, dass die Teilnehmer zwar offen über ihre Sorgen sprechen können, einander aber nicht nur belasten, sondern auch aufbauen. Darum werden oft auch Themen ausserhalb der Arbeitslosigkeit behandelt, sagt Myrta Ruf. «Ich staune immer wieder, wie gut die Stimmung ist.»