Sind Sie schon nervös?
Monika Bütler: Es ist für mich in der Tat aussergewöhnlich, in einer Kirche aufzutreten. Nervös bin ich immer, aber erst kurz vor dem Vortrag, auch wenn ich oft vortrage. Dozentinnen «predigen» ja quasi die halbe Zeit.
Und wie haben Sie es mit der Religion?
Ich komme aus einem sehr katholischen Haushalt. Väterlicherseits gibt es sogar eine Heilige in der Familie, Maria Bernarda Bütler. Und der Bruder meiner Mutter sowie sein Sohn haben in der Schweizergarde in Rom gedient. Ich selbst bin aber schon lange Zeit agnostisch und bin, wie es der ehemalige Nationalrat Jo Lang ausgedrückt hat, eine Kultur-Katholikin.
Was verstehen Sie unter einer Kultur-Katholikin?
Die Kultur der Religion, die Feste und Gemeinschaft haben mich natürlich geprägt. Ich habe gute Erinnerungen an den Pfarrer aus meiner Kindheit. Ich bin in Windisch bei Brugg aufgewachsen, das damals mit in- und ausländischen Zuzügern stark gewachsen ist. Der Pfarrer, er ist erst kürzlich mit 96 Jahren gestorben, hat die Menschen integriert, hat versucht, die Gemeinde zu modernisieren und baute sogar ein Jugendzentrum im Keller auf.
Selbst eine Heilige in der Familie konnte Sie nicht überzeugen, in der katholischen Kirche zu bleiben?
Maria Bernarda war eine Ordensschwester, die sich vor allem durch die Gründung von Spitälern, Schulen und Heimen in Cartagena, Kolumbien, wo sich ihr Orden und die nach ihr benannten Schulen und das Spital nach wie vor befinden, ausgezeichnet hat. Diese Leistungen für die Gemeinschaft haben mich immer beeindruckt.
Mit den Wundern habe ich eher meine Mühe. Ich war schon als Kind nicht gläubig, auch wenn mich das Christentum und die Religionen im Allgemeinen durchaus interessieren. Vielleicht bin ich zu sehr Naturwissenschaftlerin, vielleicht fehlt mir auch die Vorstellungskraft. So sehr ich mir ein Jenseits vorstellen wollte, ich schaffte es nie. Ausgetreten bin ich allerdings erst nach gewissen Ereignissen im Bistum Chur.
Wie nehmen Sie als Ökonomin die reformierte Kirche wahr?
Ich bin zu weit weg, als dass ich mich speziell zur reformierten Kirche äussern könnte. Kirchen, ob katholisch oder reformiert, machen viel Gutes, gerade in der Jugendarbeit, der Betreuung der Alten oder der Integration von Ausländern. Gleichzeitig ist Kirche nicht gleich Kirche. Es hängt stark davon ab, wie sie gelebt wird, und von den Menschen, die sie mit Leben füllen. Das Verhältnis der Kirchen zum Staat sehe ich eher kritisch.
Welches Verhältnis sprechen Sie an?
Es gibt weder bei den Katholiken, den Reformierten noch den Christkatholischen Kirchen eine klare Trennung von Kirche und Staat. Die Kirchensteuern werden durch den Staat eingezogen. Darüber werden wir angesichts der sich ändernden Bevölkerungsstruktur sicher noch diskutieren müssen.
Sie wollen die Kirchensteuern abschaffen?
Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Kirchen übernehmen extrem wichtige, gesellschaftspolitische Aufgaben. Das war auch immer die Begründung, die man ins Feld führte, dass keine vollständige Trennung zwischen Kirche und Staat gezogen werden kann. Die Aufgaben, die die Kirche übernimmt, könnte man jedoch auch mit Leistungsaufträgen abgelten. Weshalb sollten die Kirchensteuern bei Katholiken und Protestanten vom Staat eingezogen werden, nicht aber bei den jüdischen Gläubigen?
Wann immer die Kirche sagt, sie muss Geld einnehmen, wird sie schräg angesehen. Das müssten doch gerade Sie als Ökonomin verstehen?
Es gehört dazu, dass sich eine Kirche finanzieren muss. Auch Organisationen müssen Löhne bezahlen und ihre Projekte finanzieren. Die Frage ist einfach, ob die Steuern halbautomisch über den Staat eingezogen werden müssen. Zudem, wenn immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, fragt es sich ohnehin, wie die Kirchen die gemeinschaftlichen Aufgaben noch ausführen können oder sollen.
