Recherche 18. März 2020, von Constanze Broelemann

Wissen und Spiritualität auf dem Stundenplan

Religionsunterricht

Religionslehrpersonen sind oft die ersten Menschen, die Kindern von Gott und der Bibel erzählen. Aus ihrem Alltag erzählen drei Religionslehrerinnen

Singen, Basteln, Beten, Malen, biblische Geschichten hören, über das eigene Leben nachdenken, Kultur und Traditionen vermitteln  – der Religionsunterricht ist vielseitig. Bis heute ist er Bestandteil in den Bündner Schulen und wird von Fachlehrpersonen oder Pfarrpersonen unterrichtet. Die sind es, die teilweise als erste Menschen überhaupt den Schülerinnen und Schülern den Kontakt zu Religion  und Spiritualität vermitteln.

Die Zeit ist knapp bemessen

Da die Zeit knapp ist, wird guter Religionsunterricht noch wichtiger. Denn die Stundenzahl hat sich halbiert. Hatten Schülerinnen und Schüler bis 2018noch zwei Stunden Religion pro Woche, ist es nach einem politischen Entscheid nur noch eine. Das Modell 1+1, das parallel zum Lehrplan 21 eingeführt wurde, sieht wöchentlich eine Stunde Ethik (verantwortet von der Schule) und eine Stunde Religion (verantwortet von der Kirche) vor.
Die wegfallenden Stunden kompensieren einige Religionslehrerinnen und -lehrer mit Projekten in den Kirchgemeinden, in denen sie angestellt sind. Im Sommer beginnt erneut eine dreijährige Ausbildung zur Fachlehrperson Religion. Sie qualifiziert zum Unterrichten in der Primar- und Oberstufe und zur Bildungsarbeit in Gemeinden. Berufsbegleitend können sich Interessenten in den Kursschwerpunkten Pädagogik und Religion weiterbilden. Informationen: oktav.gr-ref.ch

«Kinder sind offen für Spiritualität»

Die Kinder wollen zu sich kommen können. Immer wieder erlebe ich in meinem Religionsunterricht, dass die Schülerinnen und Schüler offen für Spiritualität sind und Meditationen schätzen. Wenn die Kinder fragen: ‹Frau Thullen, glauben Sie das, was Sie uns da erzählen?›, dann sage ich: Ja. Denn man muss von dem überzeugt sein, was man als Lehrperson vermittelt. Gäbe es noch weniger Religion in den Schulen, ginge das Wissen verloren, weil wir die Kinder nicht mehr erreichen. Ich habe Kinder im Unterricht, die hatten noch nie eine Bibel in der Hand. Der eingekürzte Religionsunterricht hat mich und meine Kollegen vor grosse Herausforderungen gestellt. Ein Jahr lang haben wir daran gearbeitet, die wegfallenden Stunden mit neuen Projekten zu kompensieren. Geholfen hat auch der «GemeindeBilden»-Kurs der Landeskirche. Dennoch wünsche ich mir mehr Rückendeckung von der Landeskirche: dass mal nachgefragt wird, wie unsere Lehrpersonen in den Schulen eigentlich versorgt sind. Denn auch, wenn man  gut im Lehrkollegium integriert ist, sind Religionslehrpersonen immer ein wenig am Rand in der Schule.» 

«Ich habe viel Freude an Geschichten»

«Den evangelischen Theologiekurs müssten alle machen. Über den habe ich mir das Fachwissen Religion angeeignet, das mir als ausgebildeter Primarlehrerin noch fehlte. Die Geschichte von Kain und Abel zum Beispiel habe ich mit meinen Schülerinnen und Schülern unter dem Thema "Gott gibt eine zweite ­Chance" angeschaut. Neben dem Wissen braucht man als Lehrerin pädagogisches Geschick und es hilft, wenn man gut im Schulteam integriert ist. Am Religionsunterricht schätze ich die Vielfalt der Methoden und dass ich mich relativ frei im Lehrplan bewegen kann. Seitdem der Ethikunterricht eingeführt wurde, fehlt mir aber Zeit. Jetzt muss ich die eine Lektion noch besser vorbereiten, damit die Kinder etwas davon haben. Leider ist spontanes Reagieren auf Fragen der Kinder nicht mehr so möglich wie früher, als es noch mehr Zeit für den Religionsunterricht gab.Dennoch habe ich viel Freude an den biblischen Geschichten und kann das Fach gut im Teilzeitpensum unterrichten. Letztens habe ich einen ausserordentlichen Projekttag angeboten und meine Schülerinnen und Schüler kamen, obwohl sie eigentlich frei hatten.»

«Die Arbeit wird mir nie langweilig»

Wir vertiefen uns in spannende Themen. Neben religiösen greifen wir auch aktuelle Ereignisse auf. Denn biblische Geschichten können einen Zugang zu aktuellen Themen schaffen. Mobbing und ­Eifersucht zum Beispiel können wir anhand der Josefsgeschichte erarbeiten. Mein Wunsch ist, Kindern Werte zu vermitteln, die ihnen in ­einer globalisierten Welt Orientierung geben können. Die Schüler werden in ihrer Persönlichkeit gestärkt und bekommen Wissen und Verständnis über die Grundlagen unserer Kultur, den christlichen Glauben, aber auch über andere Religionsgemeinschaften vermittelt.Für mich ist es einer der schönsten Berufe, laufend lerne ich dazu.  Die jährlichen Weiterbildungen unterstützen mich dabei. Empathie und Freude, mit Kindern zu arbeiten, sowie die Bereitschaft, mich selbst zu reflektieren, sind mir wichtig. Die Arbeit wird mir nie langweilig, denn sie gestaltet sich immer wieder neu und anders. Früher haben wir den Religionsunterricht benotet. Heute tun wir das nicht mehr. Es ist eben nicht einfach, Glaubensfragen oder Philosophieren mit Kindern zu benoten.»