Recherche 11. März 2016, von Matthias Böhni

Ohrfeige für die religiöse Toleranz

Theater

Warum Toleranz im interreligiösen Dialog keinen Platz hat und weshalb die Wahrheit manchmal besser aussen vor bleibt: Ein Gespräch über Theater und Religion.

«Wer ist der wahre Gott?» lautete der etwas reisserische Titel des «Expertengesprächs» im Keller des Schauspielhauses, und natürlich wiesen die Experten die Frage am Donnerstagabend als untauglich zurück. Der Besucherzuspruch war indessen gross, der Keller bis auf den letzten Platz besetzt.

Anlass war Lessings Stück «Nathan der Weise», das gerade am Schauspielhaus läuft. Deshalb war neben Theologieprofessor Ralph Kunz auch die Regisseurin Daniela Löffner da. Für die erkrankte Sibylle Lewitscharoff war der Journalist Dirk Pilz eingesprungen.

Mythos, Ritus, Katharsis. Moderatorin Béatrice Acklin Zimmermann fragte Kunz nach den Parallelen zwischen Theater und Religion. «Sie risikieren ein längeres Referat», meinte Kunz, erläuterte aber kurz, dass Theater und Religion Mythos, Ritus und Katharsis gemeinsam hätten. «Die Reformation ist ja nichts anderes als eine Theaterkritik. Die katholische Messe war zur Schau-Frömmigkeit und Hokus-Pokus-Show geworden. Zwingli hat das Abendmahl wieder zum Mitspieltheater gemacht.»

Dirk Pilz tadelte darauf die heutige Theaterszene. Sie habe, überspitzt gesagt, einen Religionsbegriff aus der Aufklärung: «Viele Theaterschaffende meinen, Religion und Vernunft schliessen sich aus. Wer glaubt, ist rückständig. Dabei sind Glauben und Wissen kein Widerspruch.» Regisseurin Löffner pflichtete bei, gerade Lessings «Nathan» beweise ja, das Wissen und Glauben gut zusammengehen.

Vornehm schweigen. Die viel beschworene Toleranz bekam anschliessend Ohrfeigen. Kunz beurteilte den Begriff als «absolut untauglich» für den interreligiösen Dialog: «In der Toleranz steckt ein Gefälle vom Mächtigen zum Ohnmächtigen, es ist ein machtpolitischer Begriff. Interreligiös sagt er nichts.»

Pilz doppelte nach: «Was soll Toleranz in Glaubensdingen heissen? Einem Juden kann man die Dreifaltigkeit nicht erklären, und ein Christ wird nicht begreifen, dass die Juden das auserwählte Volk sind.» Juden müssten zur Dreifaltigkeit vornehm schweigen. Man müsse lernen, bei gewissen Dingen aneinander vorbeizuschauen. Nathan im Stück umgehe das Problem übrigens, indem er eine Geschichte, die Ringparabel, erzähle – «der Triumph der Literatur über Religionsdebatten», so Pilz.

Berührungen und Rührungen. Kunz ergänzte: «Religiöse Toleranz wird oft auf das Recht reduziert, sich so oder so zu kleiden, Minarette zu bauen, Knaben zu beschneiden. Dahinter sind aber politische Machtdiskurse. Sie erinnern an Gender-Debatten.» Religionen auf Rechte zu reduzieren, sei aber falsch: «Religionen sind Berührungen, Rührungen, Emotionen. Der Islam beispielsweise ist Schönheit, wie es Navid Kermani kürzlich gesagt hat.»

Pilz meinte generell: «Wahrheitsfragen sollte man im interreligiösen ausklammen und suspendieren. Es bringt nichts.» Mit der Wahrheit der Religion verhalte es sich wie mit der Liebe zu einer Frau: Diese Liebe sei unzweifelhaft wahr, aber könne unmöglich für alle gelten. Es gebe ohnehin nur die Wahrheit des permanenten Suchens, wie es schon Paulus in seinen 13 Briefen zeigte. «Sind Sie Theologe?», fragte darauf Kunz amüsiert.

Eine romantische Seele. Die Frage nach der Wahrheit habe auch die Rezeption des «Nathan» berührt, schon früh habe man sich darüber gestritten, wie er zu lesen sei, sagte Kunz. «Dabei hat Lessing die positive mit der negativen Religion verschränkt: Nathan bleibt bei seiner Religion, aber im Stück sind auch Leere und Zweifel eingeklammert.» Diese lösen Religion nicht auf, sondern festigen sie. Die Stärke des Stücks sei die Zirkularität von positiver und negativer Religion.

Auf Acklins Frage zum Schluss, wie Kunz den «Nathan» inszeniert hätte, meinte er lächelnd: «Ich bin für Kitsch, habe eine romantische Seele. Umarmungen müssten zu sehen sein, dazu Schillers ‹Alle Menschen werden Geschwister›. Das ist die tiefe Sehnsucht aller Religionen. Und: ein Schuss Ironie.»

Die Theaterkritik zur Inszenierung von «Nathan der Weise» lesen Sie hier.