Recherche 26. August 2015, von Katharina Kilchenmann

Spätberufene auf dem Weg ins Pfarramt

Theologiestudium

Quereinsteiger ins Pfarramt: Die verkürzte Ausbildung «Ithaka» bietet AkademikerInnen die Chance, Theologie zu studieren und PfarrerIn zu werden.

«Hebräisch lernen auf dem Balkon, das hat Qualität», sagt die frischgebackene Theologiestudentin. Barbara Ruchti lebt in einer hübschen Altwohnung im Berner Breitenrainquartier und weiss es sehr zu schätzen, dass sie nun wesentlich mehr zu Hause ist. Bis vor Kurzem arbeitete sie als Sozialtherapeutin im Strafvollzug. Da blieb ihr zum Wohnen nicht viel Zeit. Warum gibt die Berufsfrau ihre Stelle und das sichere Einkommen auf,verkauft ihr Auto und verzichtet auf Ferien und Luxus? «Ich stellte mir die klassischen Midlife-Fragen: Wie will ich die verbleibende Lebenszeit gestalten? Was braucht es, damit ich mich nicht alle fünf Jahre neu erfinden muss? Da erschien mir das Pfarramt als attraktives ‹Gesamtpaket›», erklärt sie. Hier komme vieles zusammen, was sie gerne mache: Menschen in aussergewöhnlichen Situa­tionen begleiten, zuhören, nachfragen, Lösungen suchen.

Den Neuanfang wagen. Vier Jahre dauert das Ausbildungsprogramm Ithaka, das die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn zusammen mit der Theologischen Fakultät der Universität Bern und der bernischen Kirchendirektion anbietet (siehe Infospalte rechts). Voraussetzung für das Vollzeitstudium ist ein universitärer Masterabschluss und Berufserfahrung. In der Gruppe der Studierenden – es sind elf Frauen und sieben Männer – finden sich unter anderem Juristen, Musikwissenschafterinnen, Ingenieure und Geografen. Eine bunte Mischung von Menschen mit viel Lebenserfahrung. «Die meisten haben ihren Job aufgegeben und wagen einen Neuanfang», meint Barbara Ruchti, «es ist extrem spannend zu erfahren, was für Geschichten dahinterstehen. Und selbst wenn viele von uns schon graue Haare haben, die Angst vor den Prüfungen ist genau so spürbar wie bei jungen Studis.»

Den Glauben thematisieren. Aufgewachsen ist die angehende Pfarrerin im Simmental. In die Kirche ging sie während ihrer Jugend mehr aus traditionellen denn aus religiösen Gründen. So waren ihre Freunde auch ziemlich überrascht, als sie ihnen eröffnete, sie werde nun Theologie studieren. «Einige waren beinah peinlich berührt, und in ihren Blicken glaubte ich die Frage zu lesen: Ist alles okay mit dir, oder muss ich mir Sorgen machen?» Sie lacht. «Mein religiöses Coming-out war recht anspruchsvoll. Plötzlich wurde mein Glaube zum Thema, und wir hatten alle keine Erfahrung, wie man darüber sprechen sollte.» Es gab aber auch überraschend positive Reaktionen. Ihr Götti beispielsweise wollte ihr spontan einen Talar schenken.

Zum dreijährigen Studium an der Fakultät gehören neben den alten Sprachen auch sämtliche anderen Fächer des regulären Theologiestudiums. Im vierten Jahr machen die Ithaka-Studierenden ein Lernvikariat; anschliessend sind sie verpflichtet, fünf Jahre im Pfarramt zu wirken, falls sie von einem Stipendium profitiert haben. Ruchti hat durchaus Respekt vor dem anspruchsvollen Weg. «Ich freue mich darauf, noch einmal einzutauchen in unbekannte Inhalte und neues Wissen.» Sie weiss aber auch, wie viel Selbstdisziplin es dazu braucht. Und gleichzeitig muss sie mit ihren Ansprüchen an sich selber realistisch bleiben. Die Trennung von Arbeit und Freizeit sei zu Hause besonders schwierig.

Den stillen Weg teilen. Aber Barbara Ruchti ist hoch motiviert. Auch was die Auseinandersetzung mit ihrem Glauben und mit den christlichen Werten betrifft. Nach einem schweren Verkehrsunfall vor zehn Jahren, den sie mit «nur» ­einem doppelt gebrochenen Halswirbel überstanden hatte, kam bei ihr etwas in Bewegung. «Auf einmal war ich extrem dankbar, überhaupt zu leben. Bald fing ich mit Lesen, Meditation und Exerzitien an und besuchte regelmässig Gottesdienste. Das war ein stiller religiöser Weg, über den ich mit kaum jemandem gesprochen habe.» Das scheint sich nun offenbar zu ändern.