In der Wallfahrtskirche in Einigen lebt eine Tradition weiter, die vor gut einem Jahr beinah zu Ende ging: das Glockenläuten von Hand. Jeden Samstagabend stehen zwei Personen in der Kirche, bringen die Glocken für zehn Minuten zum Erklingen und läuten so den Sonntag ein. Normalerweise tun sie das mit drei Glocken: mit der grossen Heimatglocke sowie mit der Friedens- und der Gloriaglocke. An Samstagen vor hohen Feiertagen, die mit Abendmahl gefeiert werden, erklingt dann auch die vierte Glocke: die Michaelsglocke.
Nur die Heimatglocke wird per Knopfdruck bedient. Die restlichen drei Glocken werden durch das Ziehen an den langen Seilen zum Schwingen und Klingen gebracht. Dass diese jahrhundertalte Tradition in Einigen bis heute weiterlebt, ist unter anderem Pfarrerin Susanna Schneider Rittiner zu verdanken. Sie und ihre Pfarrkolleginnen wehrten sich mit einem Gegenantrag, als es hiess, alle vier Glocken der Kirche zu automatisieren.
Seilziehen statt Knopfdruck
Bereits 1978 wurde die grosse Glocke elektrifiziert. Zu aufwendig wurde es für den Sigrist, jeden Mittag von Hand zu läuten. Seither schaltet sich die Mittagsglocke täglich automatisch ein. 2017, vor einem Jahr also, sollten auch die restlichen drei Glocken an den Strom angeschlossen werden. Mit der Begründung, die Arbeit des Sigrists zu vereinfachen. Doch das Pfarrteam beantragte, die Erneuerung abzulehnen. Denn die Tradition, die Glocken von Hand zu läuten, sollte bewahrt werden, und nicht der Modernisierung zum Opfer fallen. Die Pfarrerinnen und Pfarrer übernahmen die Verantwortung und machten sich daran, ein Team von freiwilligen Glöcknern zusammenzustellen. So sollte das Geläut garantiert und die beiden Sigristinnen entlastet werden.
Auf die Ausschreibung meldeten sich rund 20 Personen. Heute gehören 14 Personen zwischen 25 und80 Jahren zum Team – vom Rentner, über den Bankangestellten,Künstler und Historiker. «Es sind keine regelmässigen Kirchgänger, sondern vielmehr Menschen, die sich mit Einigen identifizieren oder von Glocken fasziniert sind», sagt Pfarrerin Schneider, die seit 2012 in Einigen im Amt ist. «Diese Tradition verbindet Menschen mit der Kirche hier im Ort.» Die kleine Kirche liegt nicht nur am Jakobsweg, sie ist auch die älteste der zwölf Thunersee-Kirchen und eine beliebte Hochzeitskirche.
Mit einem Einsatzplan organisiert sich das Team jeweils für sechs Monate. «Es ist nicht selbstverständlich, seine Zeit an einem Samstagabend der Kirche zu widmen», sagt Schneider. Zudem sei das Glockenläuten gar nicht so einfach und man könne nie im Stillen üben. Schneider selbst gehört dem Team nicht an, schätzt aber den freiwilligen Dienst sehr. Denn solange die Menschen mithelfen, dass jeden Samstagabend die Kirchenglocken von Hand geläutet werden, solange ist die Diskussion über eine vollständige Elektrifizierung der Glocken vom Tisch. Und Schneider hofft, dass dies noch möglichst lange der Fall sein wird.
